Gewalt
wurde am Hals aufgehängt, noch lebend wieder abgenommen, ausgeweidet, kastriert, enthauptet und in vier Teile zerlegt.
Die Krone ging von Heinrich an seinen Sohn Edward, dann an Heinrichs Tochter Maria und daraufhin an eine weitere Tochter, Elisabeth. Den Spitznamen »Bloody Mary« erhielt Maria nicht, weil sie sich Tomatensaft in den Wodka geschüttet hätte, sondern weil sie 300 Andersgläubige auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Beide Schwestern wahrten die Familientradition beim Lösen häuslicher Zänkereien: Maria sperrte Elisabeth ein und führte den Vorsitz bei der Hinrichtung ihrer Kusine Lady Jane Grey, und Elisabeth ließ eine andere Kusine hinrichten, Maria Stuart. Elisabeth ließ ebenfalls 123 Geistliche ausweiden und vierteilen, und andere Feinde wurden auf ihren Befehl mit knochenzermalmenden Handfesseln gefoltert – eine weitere Sehenswürdigkeit im Tower. Die heutige britische Königsfamilie wurde wegen Fehlern kritisiert, die von Unhöflichkeit bis zu Untreue reichen, aber man würde ihnen keine Anerkennung dafür zollen, dass sie nicht einen Verwandten enthauptet und nicht einen Rivalen ausgeweidet und gevierteilt haben.
Obwohl Elisabeth I. für alle diese Foltern verantwortlich zeichnete, gehört sie bis heute zu den angesehensten Herrschern Englands. Ihre Herrschaft wurde ein Goldenes Zeitalter genannt, in dem die Künste, insbesondere das Theater, aufblühten. Dass auch in Shakespeares Tragödien eine Menge Gewalt vorkommt, ist sicher nichts Neues. Aber seine fiktiven Welten umfassen Barbarei in einem Ausmaß, das selbst das abgebrühte Publikum der modernen volkstümlichen Unterhaltung schockiert. Heinrich V., einer von Shakespeares Helden, stellt einem französischen Dorf während des hundertjährigen Krieges ein Ultimatum, sich zu unterwerfen:
Wo nicht, erwartet augenblicks besudelt
Zu sehn vom blinden, blutigen Soldaten
Die Locken eurer gellend schreinden Töchter,
Am Silberbart ergriffen eure Väter
Ihr würdig Haupt geschmettert an die Wand,
Gespießt auf Piken eure nackten Kinder
Im
König Lear
sticht der Herzog von Cornwall dem Grafen von Gloster die Augen aus (»heraus, du schnöder Gallert!«), woraufhin seine Frau Regan befiehlt, den Grafen mit seinen blutenden Augenhöhlen aus dem Haus zu werfen: »Fort, werft ihn aus dem Tor, dann mag er riechen / den Weg nach Dover.« Im
Kaufmann von Venedig
wird Shylock das Recht zugesprochen, dem Darlehensbürgen ein Pfund Fleisch aus der Brust zu schneiden. In
Titus Andronicus
töten zwei Männer einen dritten, vergewaltigen dessen Braut, schneiden ihr die Zunge heraus und hacken ihr die Hände ab. Ihr Vater tötet die Vergewaltiger, bereitet aus ihnen eine Pastete zu und gibt sie ihrer Mutter zu essen, bevor er diese ebenfalls umbringt. Schließlich tötet er seine eigene Tochter, weil sie sich hat vergewaltigen lassen. Anschließend wird er ermordet, und sein Mörder findet ebenfalls einen gewaltsamen Tod.
Nicht weniger grausig war das, was zur Unterhaltung kleiner Kinder geschrieben wurde. Im Jahr 1815 stellten Jacob und Wilhelm Grimm eine Sammlung alter Volksmärchen zusammen, die man dann nach und nach für Kinder aufbereitete. Die allgemein unter dem Titel
Grimms Märchen
bekannte Sammlung steht als eines der meistverkauften und angesehensten Werke des abendländischen Literaturkanons auf einer Stufe mit der Bibel und Shakespeare. An den gesäuberten Disney-Filmen ist es nicht zu erkennen, aber in den Märchen wimmelt es von Mord, Kindesmord, Kannibalismus, Verstümmelung und sexuellem Missbrauch; es sind wahrhaft grimmige Märchen. [43] Betrachten wir nur einmal die drei berühmten Stiefmutter-Geschichten:
Vater und Stiefmutter von Hänsel und Gretel setzen ihre Kinder während einer Hungersnot im Wald aus, damit sie verhungern. Die Kinder finden ein essbares Haus, in dem eine Hexe wohnt. Diese nimmt Hänsel gefangen und mästet ihn, um ihn später aufzuessen. Glücklicherweise schiebt Gretel die Alte am Ende in den Backofen, und die Hexe »musste elendiglich verbrennen«. [44]
Als Aschenputtels Stiefschwestern sich in ihre Schuhe zwängen wollen, erhalten sie von der Mutter den Rat, einen Zeh oder die Ferse abzuschneiden. Tauben bemerken das verräterische Blut, und nachdem Aschenputtel den Prinzen geheiratet hat, hacken die Tauben den Frauen die Augen aus, »und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag bestraft«.
Schneewittchen erregt die Eifersucht ihrer Mutter, der Königin,
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