Gewalt
Gewalt, die in ein fremdes Land zu gehören scheinen.
Ein Beispiel ist der Niedergang der kriegerischen Kultur. [52] Die älteren Städte in Europa und den Vereinigten Staaten sind übersät mit Bauwerken, in denen die militärische Macht der Nation zur Schau gestellt wird. Fußgänger können Reiterstatuen von Feldherren bewundern, Skulpturen muskelbepackter griechischer Krieger, Triumphbögen, die von Kampfwagen gekrönt sind, und schmiedeeiserne Zäune in Form von Schwertern und Speeren. U-Bahn-Stationen sind nach siegreichen Schlachten benannt: In der Pariser Metro gibt es eine Station namens Austerlitz, ein Bahnhof der Londoner Untergrundbahn heißt Waterloo. Fotos aus der Zeit vor 100 Jahren zeigen, wie Männer in farbenprächtigen militärischen Ausgehuniformen an Nationalfeiertagen aufmarschieren oder mit Aristokraten bei üppigen Abendgesellschaften auf Du und Du sind. Die visuellen Markenzeichen längst gefestigter Staaten sind voller aggressiver Bilder von Geschossen, scharfen Waffen, Raubvögeln und Raubkatzen. Selbst das bekanntermaßen pazifistische Massachusetts zeigt in seinem Siegel einen Arm, der ein Schwert schwingt, und ein amerikanischer Ureinwohner hält Pfeil und Bogen; darunter steht der Wahlspruch »With the sword we seek peace, but under liberty.« [»Mit dem Schwert suchen wir Frieden, aber unter der Freiheit.«] Um nicht zurückzustehen, verziert das benachbarte New Hampshire seine Autonummernschilder mit dem Motto »Live Free or Die« [»Frei leben oder sterben.«]
Heute jedoch werden öffentliche Plätze im Westen nicht mehr nach militärischen Siegen benannt. Kriegerdenkmäler zeigen keine stolzen Feldherren auf Pferden, sondern weinende Mütter, erschöpfte Soldaten oder lange Listen mit Namen der Toten. Militärvertreter sind im öffentlichen Leben unauffällig mit Uniformen in gedeckten Farben und mit geringem Ansehen bei der allgemeinen Bevölkerung. Auf dem Londoner Trafalgar Square wurde auf dem Sockel gegenüber von den großen Löwen und der Nelson-Säule kürzlich eine Skulptur aufgestellt, die von der militärischen Bilderwelt ungefähr so weit entfernt ist, wie man es sich überhaupt nur vorstellen kann: eine nackte, schwangere Künstlerin, die ohne Arme und Beine geboren wurde. Das Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg im französischen Ypern, das die Anregung zu dem Gedicht »Flanders Field« gab und der Anlass war, dass man am 11 . November in den Ländern des Commonwealth roten Mohn am Revers trägt, wurde kürzlich um ein Denkmal für die 1000 Soldaten erweitert, die in diesem Krieg wegen Fahnenflucht erschossen wurden – Männer, die man zu jener Zeit als verachtungswürdige Feiglinge geschmäht hatte. Und die beiden neuesten Wahlsprüche amerikanischer Bundesstaaten sind »North to the Future« [Nordwärts in die Zukunft] in Alaska und »The life of the land is perpetuated in righteousness« [Das Leben des Landes setzt sich in Rechtschaffenheit fort] in Hawaii (als allerdings Wisconsin nach einem Ersatz für »America’s Dairyland« [»Amerikas Land der Milch«] suchte, lautete einer der Vorschläge »Eat Cheese or Die« [»Iss Käse oder stirb«]).
Besonders auffällig ist der Pazifismus in Deutschland, einem Land, das früher derart mit kriegerischen Werten in Verbindung gebracht wurde, dass die Worte
teutonisch
und
preußisch
zu Synonymen für strengen Militarismus wurden. Noch 1964 brachte der Satiriker Tom Lehrer eine verbreitete Befürchtung zum Ausdruck, die aus der Aussicht erwuchs, Westdeutschland könne sich an einer multilateralen Koalition der Atomstaaten beteiligen. In einem sarkastischen Wiegenlied beruhigt der Sänger ein Baby:
One time the Germans were warlike and mean,
But that couldn’t happen again.
We taught them a lesson in 1918
And they’ve hardly bothered us since then.
[Einst waren Deutsche kriegerisch und gemein,
Aber das können sie nicht noch mal sein
Wir haben es ihnen 1918 beigebracht,
Seither haben sie kaum noch Ärger gemacht.]
Die Angst vor dem deutschen Revanchismus wurde noch einmal lebendig, als 1989 die Berliner Mauer fiel und die beiden deutschen Staaten Wiedervereinigungspläne schmiedeten. Heute dagegen ist die deutsche Kultur durch Gewissenserforschung wegen ihrer Rolle in den Weltkriegen geprägt und von einer Abneigung gegen alles durchdrungen, was nach militärischer Gewalt riecht. Gewalt in Videospielen ist tabu, und als das Unternehmen Parker Brothers eine deutsche Version von
Risk
auf den Markt bringen
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