Gewalt
und seien deshalb vor militärischen Engagements zurückgeschreckt. In den 1980 er Jahren hatte das Land sich immerhin so weit erholt, dass es mehrere kleine Kriege führen und antikommunistische Kräfte in mehreren Stellvertreterkriegen unterstützen konnte, aber die Militärpolitik war eindeutig nicht mehr die gleiche. Ein Phänomen, das als »Bedrohung durch Tote«, »Kriegsaversion« oder »Dover-Doktrin« bezeichnet wurde (die Notwendigkeit, die Zahl der mit Fahnen bedeckten Särge, die zum Luftwaffenstützpunkt Dover zurückgebracht wurden, so gering wie möglich zu halten), erinnerte selbst die eher kriegsbereiten Präsidenten daran, dass das Land militärische Abenteuer mit vielen Todesopfern nicht mehr hinnehmen würde. Die einzigen amerikanischen Kriege, die sich in den 1990 er Jahren noch politisch durchsetzen ließen, waren chirurgische, mit ferngesteuerten Waffen geführte Schläge. Zermürbungskriege, in denen Soldaten zu Zehntausenden aufgerieben wurden, konnte es ebenso wenig geben wie einen Luftkrieg gegen Zivilisten anderer Länder nach dem Vorbild von Dresden, Hiroshima oder Nordvietnam.
Der Wandel ist auch in der US -Armee selbst mit Händen zu greifen. Auf allen Ebenen sind sich die Befehlshaber bewusst, dass willkürliches Töten zu Hause eine Imagekatastrophe darstellt und im Ausland kontraproduktiv ist, weil Verbündete abgestoßen und Feinde gestärkt werden. [666] Das Marine Corps hat ein Kampfsportprogramm eingerichtet, in dem die Ledernacken in einem neuen, als Ethical Marine Warrior bezeichneten Ehrenkodex unterrichtet werden. [667] Dabei lautet das Glaubensbekenntnis: »Der Ethical Warrior [»ethische Krieger«] ist ein Beschützer des Lebens. Wessen Leben? Das eigene und das der anderen. Welcher anderen? Aller anderen.« Anerzogen wird der Kodex den Soldaten mit einigen Theorien, die das Mitgefühl erweitern sollen; ein Beispiel ist »Der Jagdausflug«, eine Geschichte, die von Robert Humphrey erzählt wird, einem passionierten Offizier mit untadeligen militärischen Verdiensten: Er hatte im Zweiten Weltkrieg eine Scharfschützeneinheit befehligt. [668] In seiner Geschichte tut eine US -Militäreinheit in einem armen asiatischen Land Dienst, und eines Tages gehen Angehörige der Einheit zur Ablenkung auf die Wildschweinjagd:
Sie holten sich aus dem Fuhrpark einen Lastwagen und machten sich auf den Weg in die Wildnis; in einem Dorf machten sie Station und heuerten einige Einheimische an, die ihnen Wege durch den Busch bahnen und als Führer dienen sollten.
Es war ein sehr armes Dorf. Die Hütten bestanden aus Lehm, und es gab weder Strom noch fließendes Wasser. Die Straßen waren nicht asphaltiert, und es stank im ganzen Dorf. Überall waren Fliegen. Die Männer sahen mürrisch aus und trugen schmutzige Kleidung. Die Frauen bedeckten ihre Gesichter, und den in Lumpen gekleideten Kindern liefen die Nasen.
Kurze Zeit später sagte ein Amerikaner in dem Lastwagen: »Hier stinkt’s.« Ein anderer fügte hinzu: »Die Leute hier leben wie Tiere.« Schließlich sagte ein junger Luftwaffensoldat: »Ja, die haben nichts, wofür sie leben könnten; sie könnten genauso gut tot sein.«
Was sollte man dazu sagen? Es schien einfach zu stimmen.
Aber in diesem Augenblick meldete sich in dem Lastwagen ein alter Feldwebel zu Wort. Er war ein stiller Typ, der nie viel redete. Wäre nicht seine Uniform gewesen, er hätte ähnlich ausgesehen wie einer der kräftigen Männer in dem Dorf. Er sah den jungen Mann von der Luftwaffe an und sagte: »Du glaubst, die hätten nichts, wofür sie leben, stimmt’s? Na ja, wenn du dir so sicher bist, nimm doch einfach mein Messer, spring’ hinten vom Lastwagen und versuche, einen von ihnen umzubringen!«
In dem Wagen herrschte Totenstille …
Dann fuhr der Feldwebel fort: »Ich weiß auch nicht, warum ihnen ihr Leben so viel wert ist. Vielleicht liegt es an den kleinen Rotznasen da, oder an den Frauen in den Pluderhosen. Aber was es auch sein mag, sie sorgen sich genau wie wir Amerikaner um ihr eigenes Leben und um das ihrer Angehörigen. Und wenn wir weiter schlecht über sie reden, schmeißen sie uns aus ihrem Land!«
Ein Soldat fragte ihn, was wir als Amerikaner mit unserem Reichtum tun könnten, um gegenüber den Bauern trotz ihres erbärmlichen Zustandes unseren Respekt für die Gleichheit aller Menschen zu beweisen. Darauf antwortete der Feldwebel leichthin: »Ihr müsst so tapfer sein, dass ihr hinten vom Lastwagen springt und knietief in Schlamm und
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