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Gewalten

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Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Spiel selbst gibt’s auch ein Internetforum, ist vielleicht bisschen verwirrend jetzt,
Kinder der Apokalypse
heißt das, aber da kommt man nicht so einfach rein, denn da treffen sich Gleichgesinnte aus der ganzen Welt, das dauert ewig, bevor die einem vertrauen und das Passwort rausrücken, mit dem man in den
Death Force
-Bereich kommt, dort sind nur die, die kurz davor sind, wirklich ernst zu machen. Optimal läuft es, wenn man zwei, drei von denen dazu bringen kann, gleichzeitig mit dir loszuschlagen, also an den Schulen ihrer Stadt. Sind natürlich alle über achtzehn, denn das Spiel ist natürlich auch nur ab achtzehn zugelassen, wär’ ja noch schöner, wenn da so Rotzer mitmischen würden, die das Ganze gar nicht richtig einschätzen können.
    Du musst auch aufpassen, dass dein Agressionsbarometer nicht zu sehr absinkt, sonst nämlich GAME OVER , wenn man zum Beispiel der Nachbarin hilft oder der Süßen aus der Elften zu viele Liebesbriefe schreibt. Obwohl, ich hab das schon mal gemacht, und als die meine Briefe ihren Freundinnen gezeigt hat und die sich alle über mich lustig gemacht haben, war ich wieder voll im roten Bereich, und die waren die Ersten auf meiner Liste. Ist eben fast wie im richtigen Leben, manchmal kommen sie zu dir und wollen Bussi Bussi, und du siehst alles wie auf einem rosaroten Bildschirm, aber andermal verarschen sie dich voll, und meistens verarschen sie dich sowieso alle, da sind die Mädchen nur die Krönung. Das geht bei deinen Mitschülern los, der Robert ist eben nun mal nicht
so gut im Sport und ein Eigenbrötler sowieso, über die Lehrer, bis zum Direktor. Im Forum hab ich mal gelesen, wie einer den Direx ganz speziell erledigt hat. Wirklich nicht jugendfrei. Musste die Drecksau vor ihm rumkriechen im Direktorat, dann ins Klo und wieder zurück, da hat er den wirklich gezwungen, die dicke Sekretärin ... und eben noch den Kopf in der Schüssel, also wirklich nicht jugendfrei, und dann hat er den eiskalt durchs Fenster geschickt. Aber das war schon wieder ein Fehler, schrieb dieser Typ, der sogar mir ein kleines bisschen zu sadistisch war, dass er sich so lange mit dem Direx beschäftigt hat, denn so hat er nicht mehr richtig aufgepasst, kamen die Bullen von hinten, ZACK Headshot, GAME OVER . Dabei stand der angeblich vor der besten Leistung, die jemals jemand in
German Amok
erbracht hat ... Nur noch das obere Stockwerk war übrig. Hat sogar den Screenshot von seinem Bodycount ins Forum gestellt. Echt unglaublich.
    Manchmal denke ich ... Moment, jetzt weiß ich doch plötzlich, woran mich vorhin dieses langgezogene »Genaaauuu. Duuuu« erinnert hat. Es gibt diesen Typen in der
Sesamstraße
, der trägt einen Trenchcoat und quatscht Ernie immer an, genau wie dieser Dealer mich vorhin angequatscht hat. »Heeeh, duuu!«
    » WAS , ICH ?«
    »Psssst. Nicht so laut!«
    »Was, ich?«
    »Genaaauuu.«
    Manchmal denke ich, dass ich auch, zumindest früher, genau ins Profil gepasst hätte. ROBERT . Ich bin nämlich eine Zeitlang mit zwei Messern zur Schule gegangen, eins davon war echt riesig, das hatte ich in meinem Aktenkoffer (wer mit Aktenkoffer zur Schule geht, passt sowieso ins Profil),
das andere, ein Wurfmesser war das, trug ich im Strumpf. Das war aber nicht wegen meines Direx oder der Lehrer. Ich musste auf dem Schulweg an paar Ecken vorbei und paar Leuten vorbei ... aber lassen wir das. Obwohl ich mir oft vorgestellt habe, wie ich meinem Direktor das Teil, also dieses Riesenmesser, in den Wanst jage. War nämlich echt ein Arschloch, der Typ. Hat mich schikaniert, wo er nur konnte, paar andere Lehrer auch, haben versucht, mich durchs Abitur fliegen zu lassen, diese Schweine, ich gebe zu, ich war vielleicht etwas schwierig, aber das ist ja auch ein schwieriges Alter, so zwischen sechzehn und neunzehn. »Das ist eines Gymnasiasten nicht würdig!« Nur so einen Scheiß durfte ich mir anhören, sie meinten meine Gerichtsund Polizeivorladungen, ja, mein Gott, wir alle machen mal Fehler, und was heißt hier Fehler, jetzt tut bloß nicht so, als würde das Leben immer auf der geraden Bahn ablaufen. Als ich die Löschung eines Direktorenverweises beantragen musste, die bringen einem den Bürokratenscheiß schon in der Schule bei, habe ich den Antrag am Morgen auf einen Zettel geschrieben, per Hand, versteht sich, das war so 1995 , damals hatte nicht jeder einen Computer oder eine Schreibmaschine, also eine Schreibmaschine hatte ich schon, aber die nahm ich nur für meine Gedichte und

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