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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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aufspüren. Was soll ich ihm den Bart abreißen, so was funktioniert schlecht in der Realität, ich werde
ihn aufspüren und packen und durch ein geschlossenes Fenster werfen, die Scherben im Scheinwerferlicht begleiten ihn nach unten, Knastmonde, aber ich bin nicht im Knast. So ähnlich, nur so ähnlich.
    Später, irgendwann, Stunden, Tage, 2008 , 2009 , werde ich durchs Innere des Gebäudes laufen, ein langer Gang, meine rechte Schulter und mein Ellenbogen schmerzen, ich laufe, nein, ich humpele schwankend, etwas nach vorne gebeugt, der rechte Ellenbogen vom Körper abgespreizt, wie ein Körperklaus, das hat ein Junge immer benutzt, dieses Wort
Körperklaus
, das muss 1997 gewesen sein in der Jugendarrestanstalt Zeithain, der lag mit mir auf dem Zimmer und hat alle möglichen Leute so bezeichnet, hinter ihrem Rücken, obwohl er selbst klein und dick und hässlich war und sich in den paar Wochen kaum gewaschen hat und mir stinkende Lügengeschichten erzählt hat Nacht für Nacht;
spastisch
, auch so ein Wort, den Ellenbogen abgespreizt und spastisch durch die Luft rudernd, bewegen sie sich wie in Zeitlupe auf mich zu, Zombies würde ich sagen, sie schwanken, wie auch ich schwanke, als würden sie gleich umkippen,
Night of the Living Dead
, obwohl schon Nachmittag ist. Einige brabbeln, strecken ihre Arme nach mir aus, Zombies können nicht sprechen, aber sie sind hungrig nach menschlichem Fleisch und infizieren ihre Opfer, wenn sie sie beißen, die dann auch zu Zombies werden,
Dawn of the Dead
, der ist in Deutschland nicht ungeschnitten zu bekommen, mein Tätowierer kennt einen DVD -Dealer, der ihn mir besorgt hat, ein paar Überlebende der globalen Zombie-Katastrophe verschanzen sich in einem riesigen Einkaufszentrum, das von den Zombies belagert wird, wie 2007 , als in Berlin am Alexanderplatz um Mitternacht ein Einkaufszentrum eröffnet
wird, Schnäppchen – Schnäppchen – Schnäppchen, rennen Tausende Zombies auf Koks, viel schneller und agiler als die von George A. Romero, durcheinander und übereinander, es gibt viele Verletzte auf der Jagd nach dem Fleisch, Scheiben gehen zu Bruch, und ich sehe die Glassplitter im Scheinwerferlicht der Monde, »Das Vieh wurde geschlachtet, und nun will jeder ein Stück Fleisch«, hat mir mal ein Zuhälter gesagt, ich bevorzuge die modernere Berufsbezeichnung Manager, als er die großen Machtkämpfe im ostdeutschen Rotlicht-Milieu nach der Wende beschrieb ... Und über all das denke ich nach, während ich da festgeschnallt im Bett liege und meine Arme irgendwie aus diesen Manschetten kriegen will und noch gar nicht wissen kann, dass da welche über den Gang stolpern und nach mir greifen, denen der Sabber übers Kinn läuft, deren Augen tot sind, später, wie bei George A. Romero, dessen Meisterwerk von 1978 in Deutschland der Zensur zum Opfer fällt, dreißig Jahre lang, und hier 2008 , 30 . auf den 31 .Dezember, das letzte Zimmer auf der linken Seite, ich.
    Es muss doch möglich sein, diese Manschetten zu lockern, zu lösen. Ich muss nur eine Hand losbekommen, dann kann ich nach der Axt greifen, die neben dem Bett steht, nein, zu Hause, heeme, so sagen wir in Sachsen, heeme steht meine Axt neben dem Bett, eine wunderschöne Feuerwehraxt aus den dreißiger Jahren, ratzfatz mit der Axt befreit und mit riesen Hieben durch die Tür ins Innere des Komplexes und diesen bärtigen Schubladenöffner und Schließer zerhacken auf meinen Weg. Und ich schlage mich durch Türen mit meiner Axt ... Moment, wer kümmert sich um meinen Hund, der ist schon alt, wenn sie mich hier gefangen halten?, aber so lange bin ich noch nicht weg von Heeme und Hund, und wenn es Nacht ist,
schläft er, und ich schwinge meine Axt, will raus aufs Feld, denn das weiß ich jetzt wieder, dass draußen vorm Fenster, hinter den Mauern, Felder sind, draußen vor der Stadt, dorthin haben sie mich gebracht, und ich schwinge die Axt, schreiend. Und an Magister Steinbauer muss ich denken, während ich so schreie, den Österreicher, der am 13 .Mai 2008 , ob das ein Freitag war, will ich wissen, aber verdammt nochmal, niemand antwortet!, der ist also am 13 . los und hat fünf Leute erschlagen mit seiner Axt, Familie war das. »Darunter ein kleines Mädchen, das den Tod kommen sah und noch Abwehrbewegungen machte.« Das lese ich in der Zeitung, die ich aufgehoben habe, weil ich dachte, darüber muss ich mal was schreiben, und jetzt schreibe ich was ganz anderes, während ich wieder daliege und an diesen verdammten

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