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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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den ich in der Klasse habe, und wir quatschen so dies und das, da lachen die Mädels tatsächlich über uns, diese Gruppe der ganz Hübschen, ich kann’s sehen und auch spüren, das tut weh, manchmal träum ich, wie ich die alle richtig durchficke, richtig hart, wie ich die richtig einsaue, aber am schönsten ist’s eigentlich, wenn ich mir vorstelle, wie ich mit Sonja ins Kino gehe, und dann heißt es, wir sind schwul, obwohl Sonja genau weiß, dass es nicht so ist, weil ich ihr doch schon geschrieben hab, und dann tauchen so Zettelchen auf, und sie lacht und kichert ... vor paar Monaten war's mein Liebesbrief, alle haben den gelesen, »die sind schwul, weil sie keine abkriegen«, also ich sag’s euch, das ist nicht schön, tut weh. ROBERT KOMMT .
    Und ich lege den Dealer nicht um. Hab ja gelernt aus meinen Fehlern. Und diesmal auch schöne Glastüren. Made in Winnenden. Die sind zu. BUMM BLAMM BLAMM , ein Regen aus Glassplittern, und drin bin ich. Ziehe mir noch schnell die schwarze Maske vors Gesicht. Und dann ab durch die Gänge, bei jedem Schritt scheine ich zu wachsen, in die Breite und die Höhe. Die Kanone im Anschlag. Tunnelblick. Fadenkreuz auf meinem Bildschirm. Erste Tür aufgerissen. Aber der Klassenraum ist leer. Nächste Tür aufgerissen. Auch leer. WAS VERDAMMT NOCHMAL
IST HIER LOS . Da hängt ein Kalender neben der Tafel. Ich werd irre, Wochenende, Samstag, ich hab die Kontrolle über die Zeit verloren. Der Mittwoch ist schwarz angekreuzt. Ich brülle vor Wut, dass es mich fast zerreißt. GAME OVER .
    11 .März 2009 .

Auf der Suche nach dem sächsischen Bergland
    Ich suche die Berge. Ich fahre mit der S-Bahn bis weit vor die Stadt, wo ich glaube, dass die Berge sein müssen. Grüne Hügel, ein großer See, und hinter dem See und den Hügeln das sächsische Bergland, zerklüftete Felsen, nicht sehr hoch, aber mit weiten Hängen. Es gibt dort eine Stelle, der untere Punkt eines V, da will ich stehen und links und rechts dieses Bergland sehen, wie es weiter und höher wird, und Wälder. Auf dem Weg dorthin muss ein Haus sein, direkt neben dem Bahndamm. Die Dachziegel sind schwarz und verwittert, dort wohnt keiner, aber die Fensterläden stehen offen und hängen schief an dem Mauerwerk. Ich bin als Kind mehrmals in diesem Haus gewesen, das ist alles, was ich noch weiß. Ich stehe immer oben an einem der Fenster der doppelstöckigen S-Bahn, lege die Hände neben meinen Kopf an das Glas, aber vielleicht fahren wir zu schnell oder die Strecke hat sich geändert. »Clemens!« Jemand ruft meinen Namen. Aber das ist kein Rufen, ein heiseres Krächzen, und ein Gestank plötzlich, wie faulendes Fleisch, dass ich in meinen Taschen nach der kleinen Flasche suche und mir den Schnaps unter meine Nasenlöcher reibe, ohne meinen Kopf von der
Scheibe zu nehmen. An den Rändern meines Blickfelds spiegelt sich etwas, steht da jemand hinter mir?, nein, zu klein, eine Art Schatten, leicht gekrümmt, aber ich drehe mich nicht um. Straßenzüge draußen. »Clemens!« Nein, ich kann jetzt nicht, ich muss dieses verdammte Haus finden, bevor wir in den Bergen sind. Ich kann nicht Tag für Tag die Strecke abfahren und das Haus suchen, den Kopf an der Scheibe. Es muss schön sein, jetzt im Juli, an diesem großen See. Und wenn das der Kontrolleur ist? Ich wühle wieder in meinen Taschen, ich weiß, dass ich einen Fahrschein gekauft habe auf dem Hauptbahnhof an einem Automaten, ich hatte nur Zwanzig- und Zehn-Cent-Stücke, und die klimpern ohne Pause in den Schlitz, mit beiden Händen werfe ich immer schneller nach, aber die Münzen reichen nicht, wie ist das möglich, ich hatte doch mein Sparschwein zerschlagen zu Hause, bevor ich die Berge und das Haus mit den verwitterten Ziegeln suchen wollte. Ich breche den Vorgang ab, dafür gibt es eine rote Taste mit einem c, ich weiß nicht, was das bedeuten soll, c wie Cent vielleicht, aber nein, das ergibt keinen Sinn, etwas Englisches sicher, und das Geld klimpert in den Schacht, die kleine Tür hat jemand rausgerissen, und etliche Münzen springen auf den Steinboden des Bahnsteigs. Ein Mann sitzt auf einer Bank und sieht mir zu, wie ich die Münzen wieder einsammle. Aber ich weiß nicht genau, ob er mich beobachtet, denn er trägt eine dunkle Brille, hält den Kopf aber in meine Richtung geneigt. Plötzlich kippt sein Kopf auf seine Brust, und ich sehe, dass die Haut seines Gesichts leicht gelblich ist, ungesund sieht das aus, und kurz scheint mir dieser faulige Geruch wieder da

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