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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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mein Typ diese Frau, aber sehr nett. Als Ali einmal für längere Zeit nach Kuweit zu seiner Familie fuhr, ging es heiß her zwischen den Heiligenbildern in seinem Wohnzimmer, ständig traf ich junge Leute im Treppenhaus, dröhnte Musik, waren die Aschentonnen voller leerer Flaschen ... auch wenn wir uns in den letzten Jahren kaum noch sahen, habe ich selten so einen freundlichen Menschen getroffen, und auch in der Moschee war ich als Christ immer willkommen und wurde nach den Predigten (von denen ich kein Wort verstand natürlich, da auf Arabisch gehalten, der Sprache Gottes, manchmal meinst du dann Sachen zu hören wie »Bin Laden!« oder »Dschihadkommtnach-Europa!«, aber ich glaube, diese schiitische Gemeinde war kein Schlupfloch für Hardliner, die Schiiten haben mit dem wahabitischen Bin Laden & Co. sowieso wenig am Hut, mit dem Imam habe ich ein paar Mal gesprochen und starke arabische Zigaretten geraucht, die waren nicht rund, sonder oval) zum Essen eingeladen, auf dem Fußboden, auf einer großen Plastikplane aßen wir, und die größte Freundlichkeit war es, seinem Nebenmann ungefragt etwas Fleisch und Reis auf den Teller zu schieben, das
wurde mit einer angedeuteten Verbeugung und gefalteten Händen lächelnd bedankt. Und deshalb klingele ich auch nicht bei ihm, um nach einem Schraubenzieher zu fragen, ich weiß, dass er früh aus dem Haus muss, um zu arbeiten.
    Und das war’s auch schon an Möglichkeiten, die ich habe. Die Wohnung über mir ist leer, die Wohnung neben Ali ist auch unbewohnt zur Zeit, der Typ ist im Knast, weiß nicht, wie lange noch. Ist eine Art Unglückswohnung, würde ich sagen, denn der Typ, der da vorher drin wohnte, ist auch im Knast. Es muss vor zwei, drei Jahren gewesen sein, als ihn die Bullen abholten. Ein Türke, der eine ältere Dame in Leipzig geheiratet hat wegen der Aufenthaltsgenehmigung, Geld hat’s wohl auch gekostet. Ich habe die Briefe vom Gericht und vom Scheidungsanwalt mit großem Interesse gelesen, als sein Briefkasten überquoll, nachdem er eingefahren war. Ich weiß nicht genau, wegen was sie ihn drankriegten. Vielleicht was mit Drogen, ich habe ihn ein paar Mal auf der Eisenbahnstraße flanieren sehen, verdächtig langsam, das ist seit vielen Jahren schon ein Umschlagplatz. Er hat auch viel getrunken, obwohl er mir, als ich mal auf einen Tee in seiner Wohnung war, sagte, dass er die übermäßige Trinkerei der Deutschen nicht verstehe, »Ab und an ein kleines Bier, o.k., aber Schnaps, so viel Schnaps, da werden die Leute böse.« Ein paar Wochen später nur dröhnte der Streit, den er mit seiner Freundin hatte, durchs ganze Haus. Wurde immer lauter und schlimmer, die Frau kreischte und schrie wie am Spieß, er fluchte, schimpfte, ab und an krachte was, jetzt geht das gute Geschirr zu Bruch, dachte ich, dachte auch daran, hochzugehen und zu schlichten, hatte aber genug eigenen Kram zu tun. Bis dann, auf dem Höhepunkt des Lärms, ein Schatten an meinem Hochparterre-Fenster zur
Straße vorbeiflog, von oben kommend, nicht genau zu erkennen, und mit einem dumpfen Knall irgendwo neben dem Haus aufschlug. Das war’s, dachte ich, er oder sie. Und traute mich kaum, auf die Straße zu gehen, in Erwartung eines zertrümmerten Körpers. War aber nur ein Tisch bzw. die Reste eines Tisches. Ein Couchtisch mit Fliesenoberfläche, die Fliesenteile lagen wie Granatsplitter mehrere Meter im Umkreis der Detonation. Ein Mann auf der anderen Straßenseite schaute mit offenem Mund zu mir rüber,
volle Punktzahl, der Kandidat hat den richtigen Fußweg gewählt!
    Bin ich dann doch hochgegangen. Ein aufgeklapptes Messer hinter meinem Rücken. Wer weiß, mit was der öffnet ... Er trug nur eine Unterhose und stank übel nach Schnaps, und als ich ihm sagte »Dir ist da eben was aus dem Fenster gefallen«, versprach er mir schwankend und lallend, sofort alles wegzumachen. Die Frau war nicht zu sehen.
    Ich arbeite schwitzend an meiner Tür. Der Hund schläft auf dem Abtreter unterm Sicherungskasten. Mit einer Hand stemme ich den Schaufelstiel zwischen die Flügel und hebele sie auseinander, so weit es geht, mit der anderen Hand treibe ich mein neues spitzes Werkzeug in den Korken. Lack splittert vom Holz, kleine Stücke brechen bereits aus dem Korken raus. Ich habe einen lockeren Halterungshaken von der Regenrinne im Hof gezogen, mein Unterhemd ist schmutzig und mit Rost verschmiert, aber der Korken bröselt, die Blockade bricht, 3 Uhr 17 , die Tür öffnet sich polternd, der Hund

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