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Gewalten

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Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Zeigefinger ein Stück von sich weg, als wäre sie ein Joint. »Die Mädchen waren verrückt nach Amerikanern und Haschisch. Mike Tyson hat den Stoff besorgt, er war clever, keine Angst vor Polizei und drugdealers. Am Bahnhof hat er gekauft, da konntest du überall Haschisch kaufen, wir haben die ganze Nacht mit den Mädchen rumgehangen und Pott geraucht, manchmal hat das im ganzen Haus gerochen.
Love is in the air
...« Er singt es halb, wie diesen Song,
Love is in the air
.
    »Leute haben uns angezeigt, und einmal kommen sie mit Hund, Schäferhund, Polizei, sie dachten, wir sind amerikanische drugdealer!« Er lacht, zieht an seiner Zigarette
und schüttelt den Kopf. »Amerikanische drugdealer. Aber wir haben gewusst, dass sie kommen ... gute Informationen.« Er legt eine Hand auf die Mappe.
    »Wir haben den Stoff klein gemacht, zerkrumelt. Wir haben es mit einem Schrubber auf dem Teppich verrieben, nichts zu sehen, kein Problem, und dann ist die Frau mit dem Hund in die Wohnung gekommen, und der Hund get’s crazy, rennt wie wahnsinnig über den Teppich und bellt, die ziehen den Teppich weg, aber da ist nichts, kein Haschisch, nowhere, und der Hund bellt und jault, und wir stehen daneben ... crazy, lange her, Frankfurt.«
    Er drückt seine Zigarette sehr sorgfältig im Aschenbecher aus. Er nickt und lächelt, als würde er immer noch über Frankfurt nachdenken. »In Amerika, meine Eltern hatten auch einen Schäferhund. Wolf. Er ist gestorben, da war ich noch ein Kind. Oregon. Schönes weites Land. Ich liebe Hunde. Ich glaube, fast alle Leute haben einen Hund in Deutschland. In Frankfurt waren die Straßen voller Hundescheiße, ich bin dort oft in die Scheiße getreten. Ich hatte eine Freundin, kleine Stadt bei Frankfurt, Bad Nauheim hieß die, sie hatte einen kleinen weißen Hund, ganz klein, ich weiß nicht, welche Rasse. Pinscher vielleicht. Ich glaube, der hieß Harry. Sie war ganz verrückt nach dem Hund, sie hat ihm sogar Essen gekocht, sie war auch nach mir verrückt, aber Harry ...« Er verzieht den Mund, macht mit beiden Händen eine resignierende Geste wie
tja, was soll man da machen
.
    »In Bad Nauheim ist ein Elvis-Presley-Denkmal. Ich habe manchmal Blumen zum King gebracht, da lagen immer Blumen, die Leute lieben den King, auch in Germany. Er hat in Bad Nauheim gewohnt, als er bei der Army war. Sie ist manchmal mitgekommen, wenn ich den King besucht
habe, Harry war natürlich immer dabei ...« Er bewegt seinen Zeigefinger in der Luft und redet lauter. »Und ich habe jedes Mal zu ihr gesagt: Darling, pass auf, dass er nicht den King anpisst!«
    Er nickt ernst, blättert dann wieder in den Mappen und summt ein Lied vor sich hin: »On a cold and grey Chicago mornin’ a poor little baby child is born in the ghetto ...«
    Dann richtet er sich auf. »Erzähl mir dein Leben!«
    In der Mitte des Raums, ein paar Meter von dem Tisch entfernt, sitzt ein Mann in einem orangefarbenen Overall auf einem Stuhl. Er ist an den Boden gekettet, Fußschellen, Handschellen, eine Kette um seinen Bauch, die Ketten sind miteinander verbunden, so dass er vornübergebeugt sitzen muss. Jetzt hebt er seinen Kopf und blickt mich an.

German Amok
    Ich trage den guten schwarzen Ledermantel, habe meine Sporttasche dabei. Bevor ich den Hof durch das große Tor betrete, quatscht mich ein Typ an, der an der Mauer lehnt. »Heh du!«
    Ich antworte: »Was, ich?«, und wundere mich, dass meine Stimme so kindlich klingt, als wäre ich gerade aus dem Stimmbruch raus.
    »Ja, genau. Du. Brauchst du was?«
Seine
Stimme klingt seltsam blechern, er dehnt das
Genau
und das
Du
sehr lang, das erinnert mich an irgendwas, komm aber nicht drauf, leichter Akzent auch, Türke oder Arab wahrscheinlich. Und dann holt er doch tatsächlich einen kleinen Beutel mit Pillen aus seiner Jackentasche, »Hab auch Gras und Speed«, sagt er noch, »Speed, damit bist du in Mathe immer fit!«, aber einen Sekundenbruchteil später reißt es ihn von den Beinen, der Typ fliegt regelrecht durch die Luft, ein feiner Blutnebel stäubt auf beim Einschlag der Schrotladung, das donnert ganz schön, ich lade wieder durch, die ausgeworfene Patrone fällt aufs Pflaster, ich jage dem Typen noch eine rein, ein zweiter Donnerschlag, da die Drecksau sich noch rührt, bin ein bisschen erschrocken,
weil sein halber Kopf weg ist jetzt. Ich habe den vorderen Lauf vorher abgesägt, schön handlich die Wumme, ich schiebe sie in die Schlaufen in der Innenseite meines Ledermantels, die habe ich

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