Gewitter der Liebe
Willst du nicht deinen Sohn begrüßen?«
»O ja, natürlich.« Er schlenderte zum Körbchen und beugte sich darüber.
Mit großen Augen betrachtete Joseph den Mann, an den er sich kaum erinnern konnte.
»Er hat sich verändert«, sagte Ross staunend und hielt dem Jungen seinen Zeigefinger hin, den dieser sogleich umklammerte. »Ein hübscher Bursche, er kommt ganz nach mir, glaube ich.«
Mit stolzem Lächeln trat Julia ebenfalls an das Körbchen. »Er hat großen Appetit und verlangt oft nach der Brust.«
Beim Anblick seiner Mutter lächelte Joseph, und der fremde Mann war vergessen.
»Wo sind deine Sachen?«, erkundigte sich Julia plötzlich. »Du kannst sie nach oben bringen, ich wohne in Nathans Gästezimmer.«
»Mein Pferd samt Gepäck steht vor dem Laden«, erwiderte er, dann klopfte er sich gegen die Hosentasche und zog einen kleinen Lederbeutel hervor. »Bis auf das hier. Ich werde es noch heute bei der Bank umtauschen.«
Auf den ersten Blick konnte Julia erkennen, dass sich nicht viel Gold in dem Beutel befand. Der arme Ross! Da schuftete er wochenlang für ein paar mickrige Goldkiesel, die kaum etwas einbringen würden.
»Wirst du diesmal länger bleiben?«, fragte sie hoffnungsvoll. »Wir könnten Pläne für unser neues Heim machen.«
Er verzog die Mundwinkel. »Angesichts der Tatsache, das mein Besitz nicht mehr existiert, werde ich wohl bald wieder losziehen müssen.«
»Bist du denn an jener Stelle gewesen, die du mit den anderen Männern aufsuchen wolltest?«
»Ja.« Er zog sie mit sich zu dem Polstersofa, das sich gegenüber dem Schreibtisch für Besucher befand, und setzte ich neben sie. »Wir marschierten das Flussufer entlang bis zu den Bergen und versuchten zunächst dort unser Glück. Aber wir fanden nichts außer Schlamm und Steinen, also zogen wir weiter, immer weiter ins Landesinnere. Dann kamen wir zu einer Flussbiegung und campierten dort. Nach wenigen Stunden fand jemand den ersten Goldkiesel, also blieben wir.«
»Also hattest du Erfolg?«
»Nur bedingt.« Er legte seinen Arm um ihre Schulter. »Es sollte sich zeigen, dass die Goldkiesel nur spärlich vorhanden waren, obwohl wir das ganze Ufer umgruben. Irgendwann hatten wir die Nase voll, unsere Vorräte gingen zur Neige und wir sahen ein, dass unsere Route uns nichts eingebracht hatte.«
»Und was hast du jetzt vor?« Sie lehnte sich an ihn. Himmel, wie sehr hatte sie sich nach seiner Nähe gesehnt, nach seiner Stimme und seinem männlichen Geruch.
Er antwortete nicht gleich, sondern starrte blicklos mit gerunzelter Stirn auf das Ölgemälde an der gegenüberliegenden Wand. Dann holte er tief Luft und sagte: »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht genau. Wahrscheinlich werde ich wieder in das Lager gehen, in dem sich die Hofman-Brüder aufhalten.«
Das klang nicht besonders begeistert, und Julia wusste auch, warum: Die Aussicht auf größere Goldfunde waren dort erbärmlich gering, nachdem Hunderte, wenn nicht gar Tausende an dieser Stelle bereits geschürft hatten.
Sie schwieg betroffen und schmiegte sich gegen Ross’ Schulter. »Könntest du dir nicht vorstellen, doch in San Francisco zu bleiben, um hier eine Arbeit zu suchen?«
Ross nahm zu ihrem Bedauern seinen Arm fort. »Du kennst inzwischen meine Meinung. Ich bin nicht quer über den Kontinent gezogen, um Handlangerarbeiten für andere Leute zu machen – da hätte ich ja gleich zu Hause bleiben können.«
»Die Leute hier zahlen sicher besser als die in deiner Heimat«, versuchte sie ihn umzustimmen. »Wenn wir gemeinsam fleißig sind, können wir uns bald ein neues Haus bauen und …«
Abwehrend hob er die Arme. »Du kommst schon zu einem neuen Haus, das verspreche ich dir. Aber das wird nur klappen, wenn ich weiterhin nach Gold suche. Wusstest du eigentlich, dass Gold auch nach Millionen von Jahren nicht verrottet?«
»Nein«, erwiderte sie mit gesenktem Kopf. »Ist das denn so wichtig?«
»Wenn man danach sucht, ist es schon wichtig. Ach komm«, er zog sie an sich, »mach nicht so ein trauriges Gesicht, Liebling. Wir beide schaffen es, wenn wir zusammenhalten, weil wir uns lieben.« Augenblicklich war sie wieder versöhnt, schlang sehnsüchtig ihre Arme um seinen Nacken und bog ihren Kopf zurück, damit er sie ausgiebig küssen konnte.
* * *
Julia hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Mahlzeiten in Nathans Haus zuzubereiten, auch für die beiden Angestellten, die Julias Kochkünste in den höchsten Tönen lobten.
Es war Ross anzusehen, wie sehr es
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