Gewitter über Pluto: Roman
Eines aber stimmt, daÃ
nämlich die meisten Attentäter höflich sind. Sehr viel höflicher als reguläre
Soldaten, welche marodierend durch ein Land ziehen. â Doch lassen wir das. Sie
sollen nicht glauben, ich wäre ein Weltverbesserer. Gehen Sie jetzt. Verlassen
Sie den Saal, und nehmen Sie den netten alten Mann mit, dem wir diese schönen
Kunstwerke verdanken.«
»Ich würde aber gerne hierbleiben«, ersuchte der Minister. Er war
schon ein Minister der besonderen Art. Er spürte, daà er dank dieser Situation
berühmt werden konnte, sehr viel berühmter, als der politische Alltag es
zulieÃ. Berühmt und geachtet, ja legendär. Nicht bloà eine Witzfigur neben
anderen Witzfiguren. Hier ergab sich die Chance, ein Format zu entwickeln, eine
Grandezza, die etwa der Kanzler dieses verwunschenen Landes nicht mal in
Ansätzen besaÃ.
Fritz ahnte, was dieser Mann vorhatte. Er schüttelte den Kopf und
sagte: »Tut mir leid.«
»Sie wissen, was Sie mir damit antun?«
»Ja, ich weië, antwortete Fritz.
Der Minister senkte den Kopf, wandte sich um, nahm den alten Mann am
Arm, bewegte sich durch die zur Seite weichende Menge und verlieà den Raum.
Auch wenn dies nun wirklich nicht der Wahrheit entsprach, so würde
man diesem Minister später nachsagen, er sei als erster geflüchtet. Gleich
einem Schiffskapitän, welcher noch vor den Kindern und Frauen im Rettungsboot
sitzt. Man würde nicht einmal die Ausrede gelten lassen, es sei dem Minister
nur darum gegangen, jenen hochbetagten, hochverehrten Kunstsammler als
Kunstschenker aus dem Raum zu geleiten und in Sicherheit zu bringen. Als hätte
der alte Mann das nicht auch alleine geschafft. Nein, an diesem Minister würden
der Verdacht der Feigheit und der Verdacht irgendeiner Vorteilnahme auf ewig
hängenbleiben. Statt Grandezza das übliche Bild hasenfüÃiger Sonderstellung.
In dieser Art ging es weiter. Anstatt also Forderungen zu stellen
und mit diesem und jenem zu drohen, entlieà Fritz in kleinen Gruppen nach und
nach seine Geiseln. Es machte ihm eine gewisse Freude, sich vorzustellen, wie
die, die noch immer hier waren, sich verzweifelt überlegten, nach welchem
System er eigentlich vorging. Während Sheila und ihr Mann bestens darum wuÃten,
daà der Zweck in nichts anderem bestehen konnte, als daà schluÃendlich sie
beide übrigbleiben würden. Indem jedoch Fritz sich in keiner Weise an die zwei
wandte, sondern so tat, als seien auch sie bloà ganz normale Zufallsopfer, schuf
er ein Unbehagen, welches weit gröÃer war, als wenn er rasch und direkt
vorgegangen wäre.
Alsbald befanden sich nur noch fünf Leute im Saal, Fritz mit seiner
Bombe, die er jetzt auf Nabelhöhe beidhändig umklammert hielt, Sheila und ihr
Arzt sowie zwei Kunsthistoriker, welche den Umstand, zu den letzten zu gehören,
als Indiz dafür werteten, der Attentäter sei ein Kunsthasser. Dementsprechend
nervös waren sie. (Das ist ganz typisch: Kunsthistoriker fühlen sich immer
persönlich angesprochen, weil sie denken, man würde sie erkennen, man würde
wissen, wer sie sind und was sie tun. Was so gut wie nie der Fall ist.)
Es versteht sich, daà hinter der Türe eine Spezialeinheit darauf
wartete, den Raum zu stürmen. Oder wenigstens darauf wartete, daà der
Attentäter mitteilte, worin eigentlich sein Anliegen bestand. Wenn er so
weitermachte, würde ein verwirrender Zustand der Sinnlosigkeit entstehen. Oder
glaubte er vielleicht, es könnte genügen, einen Picasso, einen Cézanne, eine
wunderbar feinnervige, verträumte Skizze von Balthus als Geiseln zu halten?
Man muÃte davon ausgehen, daà es dem Attentäter in keiner Sekunde
darum gegangen war, irgend etwas zu erreichen. Daà der Zweck dieser Bombe nicht
darin bestand, den Staat einzuschüchtern und am Ende mit einem Packen Geld zum
Flughafen eskortiert zu werden. Sondern einzig darin, auch gezündet zu werden.
Und die entscheidende Frage für die Einsatzkräfte war nun die, ob der
Attentäter damit warten würde, bis er mit den Kunstwerken alleine war, oder ob
er schon vorher die Nerven verlor. Man ging davon aus, daà Fritz demnächst
jenen bekannten Primar und seine Gattin freilieÃ, um in der Folge nur noch die
beiden Kunsthistoriker zu bedrohen. Denn auch die Polizei vermutete hinter dem
Ganzen irgendeine Form biographisch motivierten
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