Gewitterstille - Kriminalroman
unterbrochen worden. Was finden wir in dem unvermieteten Zimmer?«
Jana Kaas war deutlich anzusehen, dass sie ihren Mitbewohner ungern belasten wollte, dennoch gab sie schließlich Auskunft.
»Jens handelt ziemlich viel über eBay«, sagte sie zögerlich. »Er nutzt den Raum zum Verpacken und so.«
»Gut«, sagte Braun mit Blick auf die Uhr. »Wir durchsuchen also auch das andere Zimmer und stellen den PC sicher.« Der Beamte verschwand wieder auf dem Flur.
»Ach ja«, rief Braun ihm nach. »Wenn Sie Porzellan oder Belege über den Verkauf von Porzellan finden, will ich die sofort sehen.«
»Ich werde mich nie an diesen Geruch gewöhnen.« Braun sah mit einer Mischung aus Faszination und Ekel seinem Freund Karl Fischer zu, der die Obduktion des Leichnams von Luise Möbius nahezu abgeschlossen hatte. Der saure Geruch, der bei der Öffnung eines menschlichen Torsos entstand, war von unbeschreiblicher Widerwärtigkeit. Braun fragte sich jedes Mal, wie es sein konnte, dass lebendige Menschen von außen so angenehm riechen konn ten, während ihr Inneres schon kurze Zeit nach ihrem Tod nach einer Mischung aus verschimmeltem Käse, Erbrochenem und Essig stank. Für Braun war es ein Rätsel, wie sich ein so netter Mensch wie Fischer für diesen grässlichen Beruf erwärmen konnte. Allein der Gedanke, seinen Berufsalltag in einem OP zwischen Leichen verbringen zu müssen, war Braun ein Gräuel.
»Die hohen Außentemperaturen haben mir die Arbeit nicht gerade erleichtert. Obwohl seit ihrem Tod erst wenige Tage vergangen sind, ist der Verwesungsprozess schon relativ weit fortgeschritten.«
Wie geht es übrigens Gisela?«
»Der geht es gut! Mir gefällt es aber nicht, dass dir gerade meine Frau in den Sinn kommt, während du an einer Leiche herumschnippelst.«
Fischer zuckte scheinbar ungerührt mit den Schultern, ging um den OP -Tisch herum und deutete auf Unterblutungen an den Oberarmen der Toten.
»Unwahrscheinlich, dass diese blauen Flecken erst nach ihrem Tod entstanden sind. Insbesondere an der Unterseite des Oberarms finden sich regelrechte Quetschungen, als wäre sie auf einen harten Gegenstand gestoßen oder gepresst worden.«
Braun versuchte, sich die Bilder in Erinnerung zu rufen, die sie nach Übernahme der Ermittlungen im Haus gefertigt hatten.
»Sie saß in ihrem Sessel, als man sie fand. Die Lehnen waren gepolstert. Meinst du, dass sie mit Gewalt in den Sessel gepresst wurde?«
»Es spricht vieles dafür. Sie ist jedenfalls definitiv nicht an Herzversagen gestorben, sondern wurde erstickt.«
Braun beugte sich über die Leiche und betrachtete mit einem prüfenden Blick den Hals der Toten.
»Keine Würgemale«, kommentierte Fischer. »Sie ist also nicht erwürgt worden.«
»Das erklärt auch, weshalb der Hausarzt keinen Verdacht geschöpft hat. Sie war mit einer langärmligen Bluse bekleidet, als man sie fand. Ihre Arme waren also bedeckt. Erstickt?«
Fischer nickte. »Ihr Herz war altersschwach, aber intakt. Sie hat sich vermutlich gewehrt. Neben den Unterblutungen an den Oberarmen hat sie sich den vierten Halswirbel ausgerenkt. Ihr solltet prüfen, was für Kissen, Decken oder ähnliche Dinge sich im Haus finden lassen, die ihr gegebenenfalls aufs Gesicht gepresst wurden.«
»Möglich, dass sich daran Speichelproben sichern lassen. Dann hätten wir zumindest die Tatwaffe.«
»Kamel.«
»Wie bitte?«
»Ich meine nicht dich.« Fischer schmunzelte. »Jedenfalls jetzt gerade nicht. Kamelhaarwolle. Ich habe Wollfasern auf ihrem Gesicht, auf den Lippen und auch in der Mundhöhle festgestellt.«
»Todeszeitpunkt?«
»Angesichts des Verwesungsgrades schwer zu sagen. Zwischen 00.00 Uhr und 09.00 Uhr, würde ich sagen. Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass man an einer natürlichen Todesursache gezweifelt und sie wieder ausgegraben hat?«
»Anna Lorenz war ihre Nachbarin.«
Fischer, der Staatsanwältin Lorenz kannte, war anzusehen, dass er nicht ganz verstand. »Aber die ist doch noch in Elternzeit, oder?«
»Ja, ja, das stimmt schon«, bestätigte Braun. »Allerdings wären wir ohne sie heute nicht hier, und Frau Möbius würde friedlich schlummern, ohne in die Kriminalstatistik einzugehen.«
Fischer hörte interessiert zu, während Braun ihn über die Hintergründe des Falles aufklärte.
»Ein fast perfekter Mord also«, beendete Braun seinen Exkurs. Er fragte sich nicht selten, wie viele alte Menschen aus den verschiedensten Motiven heraus von ihren Verwandten erstickt oder vergiftet
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