Gewitterstille - Kriminalroman
die Fetzen flogen.«
»Verstehe«, sagte Anna. »Vielleicht ist es das, was Sophie und Jens Asmus verbindet. Die Wut und die Trauer darüber, dass ein Elternteil sie verlassen hat. Ich kann trotzdem nur schwer glauben, dass Sophie einem Jungen Fluchthilfe leistet, der im Verdacht steht, einen Menschen getötet zu haben.«
»Glauben Sie mir, Frau Lorenz, ich habe keine meiner Töchter in dem Alter zwischen dreizehn und achtzehn ver standen. Verliebte Teenager sind absolut unberechenbar.« Braun wusste ganz offensichtlich, wovon er sprach.
»Wenn er tatsächlich im Besitz des Geldes ist, hat er natürlich die Möglichkeit, für eine gewisse Zeit unterzutau chen. Wir können nur hoffen, dass er sich nicht ins Ausland absetzt.« Braun griff nach dem Telefon. »Wir sollten als Erstes über die Taxizentrale ermitteln, wo Sophie gestern mit der Taxe hingefahren ist, nachdem sie das Haus verlassen hatte. Vielleicht hat sie sich direkt zur Bank bringen lassen und wurde danach irgendwo abgesetzt, wo sie Asmus treffen wollte und er sich vielleicht sogar jetzt noch aufhält.«
»Gibt es sonst irgendeinen Hinweis, wo Asmus unter getaucht sein könnte?«, fragte Anna Bendt, während Braun zu telefonieren begann.
»Nicht den geringsten. Asmus scheint vom Erdboden verschluckt zu sein. Nach allem, was wir ermitteln konnten, hat er keine wirklich engen Freundschaften gepflegt, und der Kontakt zur Mutter ist auch nicht das, was man gemeinhin als rege bezeichnet.«
Anna stand auf und ging wieder zum Fenster hinüber. Sie konnte einfach nicht stillsitzen. Sie lehnte sich gegen die Fensterbank und massierte ihren schmerzenden Nacken. Als sie spürte, dass die Augen des jungen Kommis sars auf ihr ruhten, drehte sie sich irritiert um. »Ich hätte ihr nachfahren sollen«, brach es unvermittelt aus ihr hervor.
»Du bist wirklich die Letzte, die sich in dieser Sache einen Vorwurf zu machen hat.«
»Wenn Sophie nur polizeilich observiert worden wäre …«
»Deine weibliche Intuition in Ehren, aber bis wir heute von der Geldabhebung und Sophies Besuch im Casino erfahren haben, hatten wir nicht den geringsten tragfähigen Hinweis darauf, dass Sophie Tiedemann überhaupt in engerem Kontakt zu Jens Asmus steht. Geschweige denn einen Nachweis, dass die Porzellanfiguren, die du bei ihr gefunden hast, überhaupt aus dem Nachlass von Frau Möbius stammen und Sophie diese von Jens Asmus erhalten hat.« Bendt stellte sich neben Anna ans Fenster. »Was ist mit Sophies Freundinnen? Gibt es irgendeine Person, der sie sich anvertraut haben könnte?«
»Darüber habe ich natürlich auch schon nachgedacht. Sophie hatte nur zwei engere Freundinnen. Ich habe heute Morgen schon beide angerufen. Sophie hat ganz offenbar niemandem verraten, dass sie einen Freund hat. Was Jens Asmus betrifft, hat ihre Freundin Janina lediglich erzählt, dass Sophie ihn auf irgendeiner Abi-Feier in der Schule kennengelernt und sich dort länger mit ihm unterhalten hat.«
»Halten Sie es für möglich, dass Sophie eine Beziehung zu Asmus über einen längeren Zeitraum geheim gehalten hat?«, fragte Braun, nachdem er sein Telefonat beendet und einen Kollegen mit der notwendigen Recherche über die Taxizentralen beauftragt hatte.
»Ich weiß es nicht.«
»Welchen Grund könnte sie überhaupt gehabt haben, eine Verbindung zu verheimlichen?« Braun lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. »Ich meine, als die beiden sich kennengelernt haben, gab es doch noch gar keinen Verdacht gegen ihn. Warum also ein Geheimnis daraus machen?«
»Glauben Sie mir«, seufzte Anna, »ich habe mir diese Frage schon tausendmal gestellt. Sophie war allerdings generell sehr verschlossen. Wer weiß, vielleicht hatte sie Angst, dass seine Gefühle ihr gegenüber nicht aufrichtig sind.«
»Vielleicht hat er auch seinen Teil dazu beigetragen, dass sie die Beziehung geheim hält«, mutmaßte Bendt. »Jedenfalls dann, wenn wir mal unterstellen, dass er es von Beginn an auf ihr Geld abgesehen hatte und es ihm vielleicht gar nicht um Sophie selbst ging.«
»Das halte ich auch für denkbar«, stimmte Braun zu. »Nehmen wir mal an, dass es einer Vielzahl seiner Bekannten nicht entgangen ist, dass er spielt und verschuldet ist. Vielleicht hätte jemand Sophie vor ihm gewarnt, und sie wäre misstrauisch geworden.«
Anna stiegen bei dem Gedanken, dass Sophie erneut von einem Menschen schwer enttäuscht werden könnte, die Tränen in die Augen.
»Hast du ihr Zimmer noch einmal kontrolliert? Gibt
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