Gewitterstille - Kriminalroman
leise und lächelte. »Man sollte ein Kleinkind, einen elektrischen Feueranzünder und ein behindertes Mädchen wie dich doch wirklich nicht allein lassen.«
Sophie traf eine Entscheidung und robbte auf dem Bauch in Richtung Flur voran. Als sie kaum die Türschwelle erreicht hatte, war Petra mit einem Satz bei ihr. Sie stieß mit ihren spitzen Schuhen fast an Sophies Nase, als sie sich ihr in den Weg stellte.
»Nein, nein«, säuselte sie mit erhobenem Zeigefinger, als spreche sie mit einem Kleinkind. »Du bleibst schön hier.«
Sophie hörte voller Panik, wie das Feuer sich hinter ihr knisternd ausbreitete, und sie spürte, wie es ihr langsam die Luft zum Atmen nahm. Sie blickte nach oben in das schwitzende irre Gesicht der Frau, und ihr wurde bei dem Gedanken, sterben zu müssen, schwindelig. Sie betete zu Gott, dass Anna oder Georg auftauchen würden. Warum war sie bloß nicht wieder nach drüben gegangen? Und wo zum Teufel steckte Georg? Er hätte Emily doch längst abholen sollen. Warum schickte Theresa ihn nicht her? Wahrscheinlich hing er wieder in irgendeinem Termin fest. Sophie blickte auf Petra Kessler, die den Schürhaken fest umklammert hielt.
Sophie flehte und weinte, doch Petra sah nur ungerührt zu ihr hinunter. Sophie schien es, als verginge eine Ewigkeit, bis sie den Schürhaken hob und auf Sophies Kopf hinabsausen ließ. Sophie spürte den Schmerz, der ihren Körper durchzuckte, als er auf ihrem Hinterkopf aufschlug. »Emily«, war das Letzte, was sie sagen konnte, bevor sich das heiße Blut unter ihr auf dem Teppich ausbreitete. Sie hörte das Knistern der Flammen wie aus weiter Ferne, bevor sie mit dem Gesicht auf dem Boden aufschlug und es um sie herum dunkel wurde.
47. Kapitel
A nna sah Georg die abgesperrte Straße hinaufrennen. Er keuchte, als er vor ihrem Haus ankam. Die Luft war stickig, und der beißende, heiße Rauch quoll pechschwarz aus den Fenstern des Nachbarhauses empor, während sich das bedrohliche Donnergrollen im Sirenengeheul und Stimmengewirr auf der Straße verlor.
»Sie sind nicht da«, rief Anna Georg entgegen, während sie zu ihm auf die Straße hinauslief. »Sie sind nicht da!«
Georg zog Anna auf die andere Straßenseite.
»Ich bin so froh, dass es nicht dein Haus ist, das brennt. Von Weitem dachte ich schon, dass ihr in Gefahr sein könntet.« Er drückte Anna an sich und merkte offenbar gar nicht, dass sie seine Erleichterung nicht teilte.
»Sophie und Emily sind verschwunden«, schluchzte Anna und blickte zum Himmel hinauf, aus dessen dunklen Wolken noch immer kein Tropfen Regen fiel. Immerhin hatten die Einsatzkräfte der beiden Löschzüge den Brandherd inzwischen offenbar so weit unter Kontrolle gebracht, dass ein Übergreifen des Feuers auf die Nachbarhäuser gebannt schien. Georg zog Anna über den Gehweg durch die Gruppe von Schaulustigen. Sophie und Emily waren nirgendwo zu entdecken.
»Sie werden irgendwo in der Nähe sein«, versuchte Georg sie zu beruhigen, während er sich einen Weg bahnte. Hinter dem Absperrband hatten sich inzwischen zahlreiche Menschen versammelt. »Sophie und deine Putzfrau hatten wahrscheinlich Angst, das Feuer könnte auf dein Haus übergreifen, und haben sich in Sicherheit gebracht.«
»Was zum Teufel wollen die alle hier?« Anna war fassungslos, dass so viele Menschen die Arbeiten der Einsatzkräfte gänzlich unnötig durch ihre Schaulust erschwerten. »Das ist doch nicht zu fassen. Wo ist Emily bloß?« Anna suchte die Umgebung ab und lief gemeinsam mit Georg den Gehweg entlang. Endlich entdeckte sie ihre Haus haltshilfe Theresa, die, ein Geschirrtuch vor den Mund ge presst, einige Meter weiter rechts neben zahlreichen anderen Personen in der ersten Reihe am Absperrband stand und auf Frau Kesslers Haus starrte.
Georg packte Anna fester bei der Hand und erkämpfte sich entschlossen einen Weg nach vorn zu Theresa.
»Wo ist Emily?« Er musste schreien, um das Stimmen gewirr zu übertönen. Theresa antwortete nicht, sondern blickte Georg nur aus angsterfüllten Augen an.
»Wo ist Emily, verdammt?« Georg ergriff die junge Frau bei den Schultern und zuckte zusammen, als Anna nahezu gleichzeitig einen Schrei ausstieß. Anna blickte fassungslos auf den schlaffen Körper, der gerade von zwei Feuerwehrmännern aus dem Haus nach draußen getragen wurde. Es dauerte eine Weile, bis die Erkenntnis zu ihrem Verstand vordrang, dass es wirklich Sophie war, die einige Meter entfernt vor einem der Feuerwehrwagen auf eine Bahre gelegt
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