Gewitterstille
gehört sozusagen ein Stück weit zum Berufsbild.«
»Aber im Ernst«, sagte Petra Kessler, »ich kann das auch kaum glauben. Er muss doch damit rechnen aufzufliegen.«
Anna schüttelte den Kopf.
»Na ja, in unserem Fall hat er die Dose ja nicht selbst ins Netz gestellt. Das Auktionshaus Hembill ist schließlich ein renommiertes Haus. Vielleicht hat der Dieb nicht damit gerechnet, dass man die Dose gleich im Internet präsentiert. Woher sollte er denn außerdem wissen, dass Sie die Dose vermissen würden?«
Petra Kessler kommentierte Annas Einwand lediglich mit einem Achselzucken, und Anna war froh, dass sie aus nahmsweise einmal nicht versuchte, das letzte Wort zu haben.
Sie hatten Glück und fanden einen Parkplatz unweit des Eingangs. Dort lud Anna zunächst Sophies Rollstuhl aus, stellte ihn neben der hinteren Autotür ab und half dem Mädchen dann aus dem Wagen. Danach holte sie die Kinderkarre aus dem Heckraum und hob endlich Emily aus ihrem Sitz, die ihr Köpfchen sofort an Annas Schulter schmiegte. Petra Kessler betrachtete die Szene und wirkte ungeduldig, während sie kapriziös die Falten ihres eisblauen Sommerjacketts glatt strich. Auf die Idee, Anna zu helfen, kam sie offenbar nicht. Sie wartete einfach nur, bis sich die Formation endlich in Richtung Eingang des kleinen Auktionshauses in Bewegung setzen konnte.
Die Tür mündete unmittelbar in den kleinen, von Glasvitrinen umsäumten Verkaufsraum, an dessen Decke ein prunkvoller Murano-Leuchter prangte. Anna liebte Auktionshäuser, hatte jedoch an diesem Tag für die ausgestellten Silberkannen und -bestecke, Porzellantiegel und Services keinen Blick übrig. Sie schritt sofort auf den Verkaufstresen zu, hinter dem ein Herr mittleren Alters stand. Er musterte die vier ungleichen Besucherinnen über den Rand seiner auf der Nasenspitze sitzenden Brille hinweg.
Wie zwischen den Frauen vereinbart, ergriff zunächst Anna das Wort. »Guten Tag, ich bin Anna Lorenz«, stellte sie sich vor. »Ich möchte zu Herrn Dieckmann …«
»Den haben Sie vor sich«, begrüßte er sie höflich und reichte erst Anna, dann Petra Kessler und danach Sophie die Hand.
»Frau Kessler«, sagte Anna mit Blick auf ihre Begleiterin, »interessiert sich für die von Ihnen ausgestellte Porzellandose.«
»Das sagten Sie am Telefon.« Dieckmann nahm einen Schlüssel aus einer der Tresenschubladen und deutete auf eine Vitrine am Ende des Raumes. »Dort hinten steht sie.« Er richtete einen Seitenblick auf Emily, die gerade aus ihrer Karre gekrabbelt war und auf eine in der Ecke abge stellte Bronzefigur zusteuerte. Anna fing sie wieder ein und setzte ihre wild protestierende Tochter auf Sophies Schoß.
»Ich kann die Auktion für das Stück natürlich kaum noch absagen«, erklärte Dieckmann, als er auf die Vitrine zutrat.
Petra wollte gerade protestieren, als Anna sie mit einem mahnenden Seitenblick daran erinnerte, dass sie sich darauf verständigt hatten, sich zunächst als Kaufinteressenten auszugeben.
»Wenn Sie ernsthaftes Interesse an dem Stück haben, können Sie sich natürlich an der Auktion beteiligen.«
Anna brauchte Petra Kessler gar nicht erst zu fragen, ob es sich um die Dose ihrer Mutter handelte. Ihr Blick sprach Bände.
»Sie ist wirklich wunderschön«, flüsterte Petra Kessler. Sie musste sich augenscheinlich zusammenreißen, dem Mann das teure Stück nicht aus den Händen zu reißen. Dieser schien die Anspannung seines Gegenübers allerdings nicht zu bemerken.
»In der Tat«, bestätigte er stolz. Offenbar hatte er in Petra Kessler, die auch heute wieder nicht nur elegante Designerkleidung, sondern dazu noch exklusiven Piaget-Schmuck trug, eine potenzielle Kundin erkannt.
»Ein sehr ungewöhnliches und seltenes Stück.«
»Besitzen Sie eine Expertise?«, fragte Petra Kessler.
»Selbstverständlich.«
»Wo liegt das Mindestgebot?«, schaltete sich Anna wieder ein.
»Bei 11 000 Euro. Ein Preis, den ich nicht aufrufen würde, ohne mir sicher zu sein, es mit einem Original zu tun zu haben. Ich habe in meinem Geschäft schließlich einen Ruf zu verlieren.«
»Sicher«, sagte Anna. »Von wem haben Sie dieses Stück denn erworben?«
»Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich meinen Kunden gegenüber zu Diskretion verpflichtet bin. Ich will allerdings so viel verraten, dass die Dose aus dem Nachlass einer Dame stammt und mir vor wenigen Tagen von ihrem Enkel angeboten worden ist.«
»Ist es für Ihr Haus nicht ungewöhnlich, so ein Stück im Internet
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