Gewitterstille
Sophie so viel lieber gewesen, er hätte mit ihr die Auffahrt hinuntergehen und sie an der Tür absetzen können, aber sie wusste, dass die Gefahr für ihn zu groß war.
»Du schaffst das«, sagte er und gab Sophie einen langen, leidenschaftlichen Kuss.
»Ich liebe dich«, sagte Sophie mit Tränen in den Augen und lehnte sich noch einmal in ihrem Sitz zurück, während er den Rollstuhl auslud, um sie allein zurückzulassen.
29. Kapitel
S chon im Flur erkannte Anna die Silhouette des Kommissars durch die Milchglasscheibe neben der Haustür und vergaß in der Erwartung neuer Nachrichten von Sophie ihre Gartenhandschuhe abzustreifen, bevor sie die Tür aufriss. Er kam als Überbringer guter Nachrichten. Ben Bendt hatte auf dem Heimweg an Annas Haus haltgemacht. Anna fiel Bendt ohne zu zögern um den Hals und drückte ihn an sich, als sie erfuhr, dass Sophie bei ihrer Mutter aufgetaucht war. Er hielt sie einen Moment lang fest, bevor sie sich aus seiner Umarmung löste und lachend schwarze Erde von seinem kurzärmligen Karohemd klopfte. Umständlich streifte sie ihre schmutzigen Gartenhandschuhe ab und lächelte ein wenig verschämt.
»Es geht ihr gut«, berichtete er und blickte Anna sichtlich amüsiert an, die in ihren knappen Jeansshorts, dem Schlapphut und dem Trägerhemd, das sie immer bei der Gartenarbeit trug, offenbar nicht dem Bild der adretten Staatsanwältin entsprach, das er kannte. Sein Blick verriet Anna allerdings, dass ihm diese Montur wesentlich besser gefiel.
»Lass mein Hemd besser in Ruhe«, sagte er mit einem spitzbübischen Grinsen, während Anna an dem Grasfleck auf seiner Schulter rieb. »Ich denke, du solltest dich eher um dein Gesicht kümmern.«
Anna warf einen Seitenblick in den Flurspiegel und wurde rot. Ihre Stirn und ihre Nase waren ebenso mit Gar tenerde verschmutzt wie ihr Shirt. Aber sie unterließ es, sich für ihr Aussehen zu rechtfertigen.
»Hast du einen kleinen Moment Zeit mitgebracht?«, fragte sie stattdessen. »Dann verwandele ich mich schnell in einen Menschen und koche uns einen Kaffee.«
Bendt willigte ein und schien ein wenig überrumpelt, als Anna ihm auch schon die nur mit einer Schwimmwindel bekleidete Emily in den Arm drückte und ihn in den gepflegten kleinen Garten manövrierte, bevor sie selbst im Obergeschoss des Hauses verschwand. Als sie kurze Zeit später aus der Dusche kam und sich ein Kleid überstreifte, hörte sie von oben Emilys fröhliches Juchzen. Sie blickte aus dem Fenster und stellte belustigt fest, was der Anlass für Emilys Begeisterung war. Sie saß unter einem Sonnenschirm in ihrem Planschbecken und feuerte ihre bunten Plastikbälle kreuz und quer über den Rand des Beckens auf den Rasen, ganz offenbar entzückt darüber, dass Bendt die Bälle gehorsam wieder aufsammelte und zurückwarf. Es kostete ihn sichtlich Mühe, einige der Bälle unter den Rhododendronbüschen hervorzufischen. Anna beeilte sich, fertig zu werden, und lief barfuß hinunter in die Küche, um Kaffee zu machen. Während sie mit dem Tablett in die Terrassentür trat, sah sie, dass Bendt zusammenzuckte, als ihn Georg mit seiner sonoren Stimme ansprach.
»Da hat Emily ja ein Opfer gefunden!«
Bendts Nase berührte fast Georgs handgenähte Designerschuhe, als er aus dem Busch hervorkrabbelte.
»Sie wirft wie ein Profi!«, sagte Bendt, während sein Blick langsam über den hellbeigen Anzug hinauf zu Georgs Gesicht wanderte. Emily krabbelte sofort aus dem Wasser auf Georg zu, der keine Sekunde zögerte und seine klatschnasse Tochter hochhob und an sich drückte, wobei er nicht den geringsten Gedanken an seinen teuren Anzug zu verschwenden schien. Anna fühlte sich ziemlich unwohl, während sich die Männer steif begrüßten. Sie waren einander zweimal flüchtig zu der Zeit begegnet, als Bendt und Anna die Serienmorde in den Lübecker Forsten aufgeklärt hatten. Anna fragte sich, ob es Bendt interessierte, welcher Art ihre Beziehung zu Georg war, den er mit Sicherheit für einen schnöseligen reichen Immobilienkaufmann hielt. Immerhin hatte er inzwischen wohl bemerkt, dass sie trotz des gemeinsamen Kindes nicht mit Georg zusammenlebte.
»Wo ist Anna?«, hörte sie Georg jetzt sagen, während er mit Emily auf dem Arm herumalberte. Anna kannte Georg gut genug, um zu wissen, dass seine Gelassenheit Fassade war.
»Sie duscht gerade!«, antwortete Bendt, und Anna registrierte sogar von Weitem das angespannte Zucken um Georgs Mundwinkel, der sich offenbar zusammenreißen musste,
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