Gewitterstille
da«, sagte die Frau, deren Stimme Anna sofort als die der Haushälterin erkannte.
»Danke, Susanne.« Kessler reichte dem Mann die Hand, der sich, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, spontan lieber Anna als dem Aston Martin zugewandt hätte.
»Ich schlage vor, ich gehe mit dem Herrn nach draußen und kümmere mich um den Wagen, wenn Sie keine Einwände haben«, sagte Kessler an Anna gewandt.
Er wusste natürlich nicht, wie gelegen Anna die Aussicht kam, mit der Haushälterin allein zu sein.
»Überhaupt kein Problem«, sagte sie eilig. »Ich wende mich an Sie, wenn ich Fragen habe.«
»Frau Hölter leistet Ihnen so lange Gesellschaft.« Bereits im Hinausgehen begann er, den jungen Mann über die Vorzüge des Luxuswagens aufzuklären, der sich noch ein mal mit einem entwaffnenden Lächeln nach Anna umsah.
Diese wandte sich allerdings sofort Susanne Hölter zu, der anzusehen war, wie sehr sie unter dem Tod ihres Chefs litt. Sie blickte Anna in einer Art und Weise an, die keinen Zweifel darüber zuließ, dass auch sie Anna erkannt hatte.
»Sie sind doch nicht wegen des Flügels hier?«, fragte sie und zog die Stirn in Falten.
»Nein, um ehrlich zu sein, wollte ich Sie sprechen. – Christoph Kessler sah seinem Bruder wirklich ähnlich.« Anna deutete auf das Bild, das ihn mit Petra Kessler zeigte.
»Ja«, seufzte die Haushälterin und mied es, Anna in die Augen zu sehen, »aber um das herauszufinden, sind Sie sicher nicht hier.«
»Nein – ich möchte wissen, was genau Sie vorhin am Telefon gemeint haben.«
Susanne Hölter blickte einen Moment aus dem Fenster, bevor sie antwortete: »Ich weiß nicht, ob es in Ordnung ist, wenn ich so etwas sage.«
»Wenn Sie was sagen?«
»Ich kann nichts beweisen, und vielleicht stimmt es ja auch nicht …«
»Ja?«
Die Haushälterin nahm eines der Bilder von der Fensterbank und streckte es Anna entgegen. Es zeigte Christoph Kessler, der offenbar irgendwo in südlichen Gefilden an einem Hafenbecken stand. Er strahlte und streckte einen riesigen Fisch in die Höhe.
»So ein fröhlicher Mensch konnte er sein. Er war ganz anders als sie.« Sie ließ sich auf der Kante der Fensterbank nieder. »Es war merkwürdig. Ein paar Tage bevor er starb sagte er zu mir: Susanne, ich bin sehr dankbar, dass Sie hier in unserem Hause tätig sind. Bitte versprechen Sie mir, dass Sie bleiben werden. Ich habe ihn angesehen und gesagt: Aber Herr Kessler, ich will doch gar nicht fort.« Susanne Hölter blickte versonnen auf das Bild, als könne Christoph Kessler sie vielleicht doch noch hören.
»Ja?«, ermunterte Anna sie weiterzuerzählen und nahm auf dem kleinen Lederhocker am Flügel Platz.
»Dann sagte er: Meine Frau braucht Sie hier. Ja, sagte ich, Putzen ist nicht ihre Stärke, und wir haben gelacht, und dann wurde er ganz ernst und hat gesagt: Susanne, ich werde wohl nicht mehr lange hier wohnen, verstehen Sie?« Ihre Augen drohten sich abermals mit Tränen zu füllen. »Ich habe gesagt: Aber Herr Kessler, um Gottes willen, was ist denn los? Sie sehen ja ganz blass aus – das sah er wirklich, müssen Sie wissen. Er schien ganz mitgenommen und …«
»Susanne!«
Frau Hölter schrak zusammen, als sie die Stimme von Karl Kessler vernahm, der mit forschen Schritten ins Zimmer geeilt kam.
»Susanne, wo finde ich den Ordner mit den Fahrzeugunterlagen?«
»Ihre Schwägerin hat alle Papiere rausgelegt«, sagte sie, rieb sich rasch die Augen und stand hastig auf.
»Ja, ja, aber der Kaufvertrag von dem neuesten Wagen fehlt.«
»Welcher Vertrag?«
Karl Kessler wirkte ungeduldig.
»Mein Bruder hat den Wagen doch erst vor einem Jahr gekauft, oder? Der Käufer will den Vertrag sehen.«
»Wozu?«
»Wozu?« Karl Kessler klang jetzt ärgerlich. »Wenn jemand eine solch stattliche Summe für ein Luxusfahrzeug hinlegen soll, dann frage ich nicht, wozu. Wo ist der Ordner?«
Susanne Hölter zögerte. »Ich weiß nicht, ob es Frau Kessler recht ist, wenn ich an ihre Schränke gehe.«
»Seien Sie nicht albern, Susanne. Meinetwegen sagen Sie, ich hätte es getan. Ich suche einen Kfz-Ordner. Den wird sie nicht im Nachtschrank aufbewahren. Nun sehen Sie zu, dass Sie ihn finden. Ich gehe inzwischen wieder nach draußen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie den Ordner haben.«
Kessler wandte sich abrupt um und verließ den Raum.
»Der steht ja ganz schön unter Dampf«, bemerkte Anna.
»Für ihn ist das alles auch nicht leicht«, seufzte die Haushälterin. »Ich glaube, dass es ihm
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