Gezeiten der Liebe
also bei euch vorbei. Denk dran, Seth zu sagen, daß seine Schmutzwäsche in den Wäschekorb gehört und nicht auf den Fußboden.«
Sie wandte sich ab. Ihre langen Beine trugen sie rasch davon. Erst als sie sich ein gutes Stück von ihm entfernt hatte, gestattete sie es sich, langsamer zu gehen. Sie legte eine Hand auf ihr Herz, das schmerzhaft pochte, ganz gleich wie entschieden sie ihm befahl, endlich damit aufzuhören.
Nur zwei Männer hatten ihr jemals wirklich etwas bedeutet. Und es schien, als ob keinem von beiden genug an ihr lag, um sich zu überwinden und ihr seine Zuneigung zu zeigen.
4. Kapitel
Ethan hatte nichts dagegen, zu Musikbegleitung zu arbeiten. Und nicht nur das. er hatte auch einen breiten, vielseitigen Musikgeschmack – noch ein Geschenk der Quinns. Früher war das Haus oft von Musik erfüllt gewesen. Seine Mutter hatte vorzüglich Klavier gespielt, mit ebensoviel Begeisterung für die Werke eines Chopin wie für Scott Joplin. Das musikalische Talent seines Vaters fand sein Ventil im Gegenspiel, und dieses Instrument hatte es auch Ethan angetan. Ihm gefielen die wechselnden Stimmungen, die sich damit ausdrücken ließen, und daß man die Geige überallhin mitnehmen konnte.
Andererseits empfand er Musik als reine Verschwendung von Tönen, wenn er sich auf eine besonders knifflige Aufgabe konzentrieren mußte und nach den ersten zehn Minuten ohnehin nichts mehr wahrnahm. Bei solchen Gelegenheiten sagte ihm Stille am meisten zu. Seth hingegen drehte das Radio in der Bootswerkstatt voll auf. Daher ließ Ethan, um den Familienfrieden nicht zu gefährden, den stampfenden Rock ’n’ Roll einfach an sich vorbeirauschen.
Der Bootsrumpf war bereits abgedichtet und verfugt, eine arbeits – und zeitintensive Aufgabe, bei der Seth ihm eine große Hilfe gewesen war. Er hatte bereitwillig mit angepackt oder anfallende Botengänge erledigt, wenn Ethan ihn brauchte. Obwohl der Junge weiß Gott genauso gern über die Arbeit meckerte wie Phillip.
Doch dieses Gemecker ließ Ethan ebenfalls nicht an sich herankommen – um nicht endgültig verrückt zu werden.
Er hoffte, die Arbeit an der Deckbeplankung zu beenden, bevor Phillip übers Wochenende nach St. Chris kam. Jetzt ging er mit dem Hobel über die einzelnen Bauteile.
Mit Glück könnte er noch diese Woche das Deck komplett unter Dach und Fach bringen und sich in der nächsten dann Kajüte und Cockpit vornehmen.
Seth hatte sich zwar beklagt, weil Ethan ihn beauftragt hatte, den Feinschliff zu übernehmen, erledigte diese Aufgabe jedoch gewissenhaft. Ethan brauchte ihm nur zweimal zu sagen, er solle noch mal über eine bestimmte Stelle an der Rumpfverschalung gehen. Die Wißbegier des Jungen störte ihn nicht, obwohl er unzählige Fragen stellte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam.
»Wozu ist das da drüben?«
»Das ist das Schott fürs Cockpit.«
»Warum hast du es denn jetzt schon ausgeschnitten?«
»Weil wir noch vor dem Lackieren und Versiegeln den ganzen Staub loswerden wollen.«
»Und was ist mit dem ganzen Zeugs da hinten?«
Ethan hielt in seiner Arbeit inne und blickte von seinem erhöhten Standort zu dem Holzstapel, den Seth stirnrunzelnd beäugte. »Das sind die Bauteile für die Wandverkleidung der Kojen, für die Böden und die Luken.«
»Mächtig viele Einzelteile für ein einziges blödes Boot.«
»Das ist noch längst nicht alles.«
»Wie kommt’s, daß der Typ nicht einfach ein fertiges Boot kauft?«
»Ein Glück für uns, daß er das nicht will.« Mit seiner Spendierfreude legte der Kunde den Grundstein für ihr Bootsbaugeschäft. »Zum einen, weil ihm das erste Boot gefiel, das ich für ihn gebaut habe«, fuhr Ethan fort, »und zum andern, weil er so all seinen einflußreichen Freunden verklickern kann, daß sein neues Boot eigens für ihn entworfen und handgefertigt wurde.«
Seth nahm neues Sandpapier und machte sich wieder an die Arbeit. Er hatte nicht wirklich etwas gegen das Schleifen. Und er mochte den Geruch von Holz und Lack, und ebenso den von diesem Leinöl. Trotzdem blickte er immer
noch nicht ganz durch. »Es wird ewig dauern, das ganze Zeug zusammenzusetzen.«
»Wir haben vor nicht mal drei Monaten angefangen. Manche brauchen ein Jahr oder sogar noch länger, um ein Boot aus Holz zu bauen.«
Seth machte große Augen. »Ein Jahr! Mannometer, Ethan.«
Ethans Mundwinkel zuckten, als er diesen entsetzten und zugleich so beruhigend normalen Aufschrei hörte. »Reg dich wieder ab, so lange brauchen wir
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