Gezeiten der Liebe
Darum geht es in dem Brief.«
»Sie will, daß ich sie bezahle?« Die nächste Welle von Panik und Angst brach über ihn herein. »Ich hab’ doch gar kein Geld. Warum schreibt sie mir und verlangt Geld?«
»Sie hat nicht nur an dich geschrieben.«
Unsicher holte Seth Luft und konzentrierte sich auf Ethans Gesicht. Seine Augen waren klar und geduldig, der Mund fest und ernst. Ethan wußte es, konnte er nur noch denken. Ethan wußte, wie es war. Er wußte von den Zimmern, den Gerüchen, den fleischigen Händen in der Dunkelheit.
»Sie will, daß ihr sie bezahlt?« Einerseits hätte er sie gern angefleht, es zu tun. Ihr zu geben, was immer sie haben wollte. Dann würde er hoch und heilig schwören, daß er für den Rest seines Leben tun wollte, was immer sie von ihm verlangten, um seine Schuld zu begleichen.
Aber er brachte es nicht fertig. Nicht, wenn Ethan ihn so ansah und wartete. Und Bescheid wußte.
»Wenn ihr darauf eingeht, wird sie später nur um so mehr verlangen. Sie wird immer neue Forderungen stellen.« Seth fuhr sich mit seiner schweißigen Hand über den
Mund. »So lange sie weiß, wo ich bin, wird sie immer wiederkommen. Ich muß von hier weggehen, mich an einem Ort verkriechen, wo sie mich nicht finden kann.«
»Du gehst nirgendwohin.« Ethan ging in die Hocke, um ihm in die Augen sehen zu können. »und sie wird keinen Cent mehr bekommen. Sie wird nicht gewinnen.«
Langsam, wie eine Aufziehpuppe schüttelte Seth den Kopf. »Ihr kennt sie nicht.«
»Ich kenne sie zumindest zum Teil. Sie ist klug genug, um zu wissen, daß wir dich – unbedingt bei uns behalten wollen. Daß wir dich genug lieben, um wenigstens theoretisch zu bezahlen.« Er sah die Gefühle in Sethl Augen aufblitzen, bevor der Junge die Lider senkte. »Und wir würden auch bezahlen, wenn es damit ein Ende hätte, wenn das die Probleme lösen würde. Aber so würde es nicht sein. Es ist so, wie du gesagt hast. Sie würde nur noch mehr verlangen.«
»Was wollt ihr denn tun?«
»Es geht um die Frage, was wir alle zusammen tun können.« Ethan wartete, bis Seth ihm wieder ins Gesicht blickte. »Zunächst mal werden wir so weiterleben wie bisher. Phil wird sich mit dem Anwalt besprechen, um es von der rechtlichen Seite aus zu klären.«
»Sag ihm, daß ich nicht mehr zu ihr zurückgehe.« Seth warf Phillip einen verzweifelten Blick zu. »Ganz egal, was passiert, ich gehe nicht zurück.«
»Ich sag’s ihm.«
»Anna wird ihr einen Brief schreiben«, fuhr Ethan fort.
»Was für einen Brief?«
»Einen klugen«, sagte Ethan mit dem Hauch eines Lächelns. »Gespickt mit diesen Fünfzig-Dollar Worten und dem ganzen offiziellen Zeugs. Sie tut es in ihrer Eigenschaft als deine Betreuerin, um Gloria wissen zu lassen, daß die Behörden und das Gesetz hinter uns stehen. Vielleicht kommt sie so ins Nachdenken.«
»Sie haßt Sozialarbeiter«, warf Seth ein.
»Gut.« Zum ersten Mal seit einer Stunde lächelte Anna befreit. »Wenn Menschen jemanden hassen, haben sie für gewöhnlich auch Angst vor ihm.«
»Eines würde uns noch helfen, Seth, wenn du es schaffen könntest ...«
Er wandte sich wieder Ethan zu. »Was muß ich tun?«
»Wenn du mit Anna reden, ihr erzählen könntest, wie es früher war – so genau wie eben möglich.«
»Ich will nicht darüber reden. Es ist vorbei. Ich gehe nicht wieder zurück.«
»Ich weiß.« Sanft legte Ethan die Hände auf Seth, zuckende Schultern. »Und ich weiß, daß darüber zu reden fast so sein kann, als wäre man wieder dort. Ich habe lange gebraucht, um es meiner Mutter – Stella zu erzählen; laut auszusprechen, obwohl sie das meiste schon wußte. Danach wurde es immer besser. Und es half ihr und Ray dabei, den ganzen juristischen Kram zu regeln.«
Seth dachte an Zwölf Uhr mittags, an Helden. An Ethan. »Ist es das Richtige, es zu tun?«
»Ja, es ist das Richtige.«
»Kommst du mit?«
»Na klar.« Ethan stand auf und streckte die Hand aus. »Wir gehen nach Hause und reden in aller Ruhe darüber.«
14. Kapitel
»Fertig, Mama? Gehen wir?«
»Beinahe, Aubrey.« Grace schmeckte ihren Kartoffelsalat ab. Zuletzt streute sie Paprika darüber, um ihm ein wenig Farbe zu verleihen.
Aubrey stellte ihr seit halb acht heute früh immer dieselbe Frage. Grace dachte sich, daß sie nur deshalb nicht die Geduld mit ihrer kleinen Tochter verloren hatte, weil sie genauso aufgeregt und gespannt war wie eine Zweijährige.
»Maaamaaa.«
Grace mußte fast über die Frustration in Aubreys Stimme
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