Ghost Lover
Zetteln die dazugehörige Pflanze notiert hatte. Ella war eine äußerst tüchtige, gut organisierte Frau. Es hätte ihn erstaunt, hätte sie das Ganze nicht katalogisiert.
Er schloss die Schublade und strich stattdessen über ihr Kopfkissen, dann glitten seine Finger darunter und zogen das luftige Nachthemd hervor, das Ella zum Schlafen trug. Er hob das Gewand an seine Nase und sog tief ihren Duft ein. Wie sehr würde er sie vermissen. Wie sehr würde er bedauern, nicht bei ihr, mit ihr leben zu können. Und wie sehr verachtete er sich dafür, ihr diesen Schmerz zuzufügen.
Marcus setzte sich auf die Bettkante. Wie hatte er nur dermaßen die Contenance verlieren können? Warum hatte er nicht verhindert, dass Ella sich in ihn verliebte?
Er sprang wieder auf und wanderte unruhig im Raum umher. Eine Arbeit war das, was er jetzt brauchte. Etwas, das ihn von seinen Gedanken ablenkte, das ihn im Hier und Jetzt festhielt. Er konnte den Ruf der jenseitigen Welt überdeutlich in seinem Blut rauschen hören. Ein Drang, dem kaum standzuhalten war.
Marcus stöhnte und schlug die Hände vor sein Gesicht. Der goldene Schein versprach Liebe und Geborgenheit und hinter dem Leuchten warteten all die geliebten Menschen auf ihn, die er bei seinem Tod hatte zurücklassen müssen und jene, die ihm bereits vorangegangen waren.
Maidenly Head war ein entzückendes Städtchen und Ella kam nicht umhin, darüber nachzudenken, ob Marcus eine moderne Stadt gefallen könnte.
Vermutlich würde er vieles im Stadtkern wiedererkennen, die zahlreichen Häuser und Cottages im Fachwerkstil stammten aus dem sechzehnten Jahrhundert und die Gassen waren mit Kopfsteinpflaster bedeckt, wie anno dazumal.
Wäre sie nicht so nervös und traurig gewesen, und zudem von Beth abgelenkt, hätte sie den historischen Straßenzügen, die sich mit modernen Geschäften mischten, und den Plätzen mehr Beachtung geschenkt und sie entsprechend zu würdigen gewusst. So aber konnte sie nur daran denken, ob Marcus noch im Haus war, wenn sie zurückkam.
Beth zog sie in eine Bäckerei. „Ein paar Petit Fours sind jetzt genau das Richtige, Ella.“
Auf dem Platz vor der Bäckerei standen Tische und Stühle und etliche Menschen nutzten den warmen Sommertag, um dort ihren Kaffee und das hausgemachte Gebäck oder Eiscreme zu genießen.
Sie betraten das Innere und Ella entdeckte in der Auslage neben anderem Gebäck auch die verlockenden Gebäckstücke, von denen Beth geschwärmt hatte.
Als sie an der Theke stand und zahlte, sah sie aus den Augenwinkeln einen Mann vorübergehen. Er hatte Marcus’ Größe und Statur, doch erst als er mit einem englischen Abschiedsgruß aus dem Laden verschwand, drehte sich Ella nach ihm um. Abermals sah sie ihn nur im Vorübergehen. Sein Profil hatte unwahrscheinliche Ähnlichkeit mit Marcus. Ella lief ihm aus dem Laden hinterher und sah ihn um die Straßenecke laufen. Sie ging zu der Kreuzung, musste aber enttäuscht erkennen, dass sie ihn nicht mehr finden konnte. Sie kehrte zu Beth zurück, die verwirrt vor dem Laden stand.
„Entschuldige“, meinte Ella. „Ich dachte, jemanden gesehen zu haben, der eigentlich gar nicht hier sein kann.“
Beth winkte ab. „Kein Problem, gehen wir jetzt zu dem Antiquariat?“ Das Ladengeschäft war nicht sonderlich groß, doch die Regale waren hoch und vollgestopft mit alten Büchern und Folianten. In den vereinzelten Sonnenstrahlen tanzten Staubkörner einen lustigen Reigen. Der Geruch in den Räumen war die typische Mischung, die überall auf der Welt dieselbe war. Ein Mix aus Moder und Staub und Druckerschwärze und Leder und Papier.
Der Antiquar, braun und verwittert wie die Ledereinbände seiner Bücher, erhob sich dienstbeflissen, als er Beth erkannte.
„Sie kommen wegen der Erstausgabe?“
Beth begrüßte den Mann mit einem Händeschütteln. „Genau, und dann interessiere ich mich noch für irgendein Exemplar von Shakespeare.“
Der Mann nickte. „Da kommen Sie am besten mit. Wir können schauen, ob wir fündig werden.“
Beth warf Ella einen Blick zu. „Geh nur, ich sehe mich hier ein wenig um“, forderte Ella die Ältere auf.
Sie wandte sich dem nächststehenden Regal zu, überflog die Buchtitel und drehte sich zum Nachbarregal.
Gelegentlich zog sie ein interessant anmutendes Exemplar heraus und besah es sich näher. Sie griff nach einem großen, unhandlichen Buch und zog es heraus.
Ella besah sich den Einband und strich mit zitternden Fingern den Namen des Autors nach.
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