Gib dich hin (German Edition)
»Hören Sie mir überhaupt zu?«, schnauzte die Dame sie an und spielte dabei mit ihrer edlen Perlenkette. »Ich sagte Ihnen doch gerade, dass wir dieses Futter bereits ausprobiert haben.«
Zur Bestätigung kläffte es aus der Handtasche der Dame, die ihr über der Schulter hing.
»Gibt’s ein Problem?«
Das war Nick, ein korpulenter Mann mit runden Pausbacken und einem freundlichen Lächeln. Er merkte sofort, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Noch ehe die Dame ihre Wut an ihr auslassen konnte, nahm er sie zur Seite und führte sie an einem Regal mit dem besten Hundefutter vorbei. Cynthia war ihm dankbar, dass er ihr diese schwierige Kundin abnahm, und verschwand eilig auf der Toilette. Als sie wieder herauskam, stand Nick neben der Tür und blickte sie besorgt an.
»Alles in Ordnung, Schwesterherz?« Er musterte sie fürsorglich.
Cynthia schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, geht’s mir ziemlich bescheiden«, gab sie zu. Es rumorte verdächtig in ihrem Magen. Hoffentlich musste sie sich nicht noch mal übergeben. Von den Kopfschmerzen wollte sie lieber gar nicht erst anfangen.
»Du bist diejenige mit den heilenden Händen. Worauf wartest du?«, fragte er. Es war eine familieninterne Geschichte mit starken esoterischen Einflüssen, an die Cynthia selbst nur bedingt glaubte. Tatsächlich hatte es in ihrer Familie aber Spon tanheilungen gegeben, wenn sie zuvor Hand aufgelegt hatte. Üble Kopfschmerzen waren verflogen, und verstimmte Mägen hatten sich versöhnlich gezeigt.
»Das wirkt nur bei anderen. Bei mir selbst sind sie völlig nutzlos.« Sie hielt ihre Hände hoch und bewegte die Finger.
»Und was wirkt bei dir?«, erkundigte er sich, über ihre Ges te schmunzelnd.
»Ich weiß nicht. Ein Tag Ruhe vielleicht?«
Er nickte verständnisvoll. »Na schön, dann leg dich besser hin. Ich komme schon allein zurecht. Heute ist nicht viel los. Außerdem kommt Susanne heute Abend, um mir zu helfen.«
Nick war wirklich der Beste. Sie schloss ihn dankbar in die Arme und machte sich auf den Weg nach Hause. Es war überraschend windig und schneite heftig. Schnee häufte sich am Straßenrand. Und die Kälte war nur schwer zu ertragen. Sie war froh, als sie endlich zu Hause ankam. Doch die Luft in ihrem Schlafzimmer war alles andere als wohltuend. Sie hatte gestern, kurz vor ihrem Aufbruch, die Heizung voll aufgedreht. Nun war es geradezu stickig in dem zehn Quadratmeter großen Raum. Sie öffnete die Glastür ihres Balkons, der sowohl vom Schlaf- als auch Wohnzimmer begehbar war, um frische Luft hereinzulassen, weil es aber schrecklich kalt war, zog sie sich vorher rasch ihre Winterjacke über.
Von hier oben hatte sie einen phantastischen Ausblick über die Stadt und das Museum auf der anderen Straßenseite. Es war ein ehemaliges Gerichtsgebäude mit steinernen Verzierungen an den Fenstern und am Dach. Heute wurden darin antike Fundstücke ausgestellt. Obwohl sie sehr neugierig auf die Ausstellung war, hatte sie bisher kein einziges Mal die Zeit gefunden, hineinzugehen.
Cynthia atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Der Schnee fiel in dichten Flocken, blieb auf der steinernen Brüstung ihres Balkons, den Dächern der umliegenden Gebäude und den kahlen Ästen der Bäume liegen. In den letzten Jahren hatte es kaum einmal geschneit. Aber dieser Winter verdiente seinen Namen. Auf den Straßen fand ein wahres Hupkonzert statt. Der Nachteil, wenn man an einer Hauptstraße wohnte. Heute war es sogar noch verhältnismäßig ruhig, weil bei dem Wetter nur wenige Leute unterwegs waren. Dennoch verstärkte die Geräuschkulisse ihre Kopfschmerzen. Sie ging wieder hinein, legte sich hin und schlief schnell ein. Als sie wieder aufwachte, war es draußen bereits dunkel. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr allerdings, dass es noch nicht allzu spät war. Um genau zu sein, immer noch früh genug, um einen wichtigen Anruf zu tätigen.
Cynthia griff in ihre Hosentasche und suchte nach Toms Visitenkarte. Die hatte einen unschönen Knick abbekommen, der sich quer über die Schrift zog. Während sie die Delle gedankenversunken mit dem Finger zu glätten versuchte, überlegte sie, wie sie das Gespräch am besten beginnen sollte.
»Hallo, Tom. Tut mir leid, dass ich gestern Abend mitten beim Sex eingeschlafen bin. So etwas ist mir noch nie passiert! Was hältst du davon, wenn wir das Treffen wiederholen?« Nein, das war nicht gut. Er würde denken, dass es doch an ihm lag.
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