Gib mir deine Seele
lassen durfte.
Ich werde das Ding rocken! , schwor sie sich. Auch mit Erkältung.
Zu Hause angekommen, setzte sie sich an ihren Schreibtisch und atmete tief durch. Die Hotel-Visitenkarte, die Constantin ihr in Venedig gegeben hatte, lag in der Schublade. Sie sah schon etwas abgegriffen aus, so oft hatte Pauline sie herausgenommen und die Handschrift betrachtet, mit der seine Nummer auf der Rückseite notiert war.
Einem Grafologen hätte die Zahlenreihe bestimmt nicht ausgereicht, um sich ein Urteil über den Schreiber zu bilden. Ihre Tante hingegen hätte die Karte garantiert nur ein paar Minuten berühren müssen, um ein Charakterbild zu entwerfen. In einigen Fällen waren ihre Eingebungen der Wahrheit erstaunlich nahe gekommen. Obwohl Pauline weder von Schriftdeutung noch vom Hellsehen viel verstand, nahm sie nun Constantins Karte in die Hand und schloss die Augen. Verrückt kam sie sich schon dabei vor – und natürlich klappte es nicht.
Oh, sie sah ihn durchaus vor sich. So realistisch war sein Bild, dass sie glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um ihn zu berühren, aber seine unnahbare Aura verhinderte auch den kleinsten Blick ins Innere dieses Mannes. Er war ihr ein Rätsel, und sie hatte große Lust, sich näher damit zu beschäftigen.
Dafür musste sie ihn allerdings zuerst einmal anrufen. Endlich fasste sie sich ein Herz, öffnete die Augen und tippte die Zahlen in ihr Telefon. Mit flachem Atem lauschte sie dem Freizeichen …
Es erleichterte sie zwar, als nur der Anrufbeantworter ansprang, aber gleichzeitig war sie auch eine Spur enttäuscht. Ob er überhaupt nach London gekommen war? Als sie ihm eine Nachricht hinterließ, klang ihre Stimme vor Aufregung kurzatmig. »Hier ist Pauline … äh, aus Venedig. Am Mittwoch habe ich das Geld. Sollen wir uns am Samstag oder vielleicht Sonntag treffen?« Wie sich das anhörte! Schnell nannte sie noch ihre Handynummer und legte auf.
Wenige Minuten später kam eine Kurznachricht. Mittwoch. Zwanzig Uhr im Soho Hotel.
Die Scham über ihren nicht besonders souveränen Anruf wich augenblicklich Ärger. Was bildet der sich ein, mich in diesem Ton einzubestellen? Sie überlegte ernsthaft, die hundert Pfund in einen Umschlag zu stecken und ihn kommentarlos an der Rezeption zu hinterlegen.
Andererseits sehnte sie sich danach, Constantin wiederzusehen. Wenn auch nur, um endlich diese Vision loszuwerden, die sie bis in ihre Träume verfolgte und dort Dinge mit ihr anstellte, über die sie im Augenblick lieber nicht nachdenken wollte.
Du hast einfach zu lange keinen Mann mehr gehabt , sagte sie sich und versuchte, die Erinnerung an ihre Fantasien zu verdrängen, indem sie die Partituren fürs Vorsingen hervorholte und ein weiteres Mal studierte. Ohne besonderen Erfolg. Mozarts »Nadel« - Arie trug jedenfalls nicht dazu bei, ihre Stimmung zu heben. Erst als sie am Abend gemeinsam mit Henriette die »Brasilianische Nacht« beging, hob sich ihre Laune.
»Au! Henry. Ich kapituliere, Herr Genera l !«
»Was uns nicht umbringt …« Die Freundin lachte fröhlich und ignorierte die Anspielung auf ihre deutsche Herkunft in Paulines Protest. »Möchtest du nicht doch ein Stück von meiner Pizza?«
»Mach dich nicht lustig. Bei Wäscheaufnahmen kommen dicke Schenkel gar nicht gut an, weißt du?«
Henry tat, als betrachte sie kritisch die erwähnte Körperpartie, während sie die dickflüssige Zuckermasse mit einem Holzspachtel auftrug.
»Wirklich? Dann würde ich an deiner Stelle lieber absagen.«
Einen Besuch im Brazil konnten sie sich nicht leisten, also legten sie selbst Hand an, um lästige Körperbehaarung zu entfernen. Weil das aber allein nicht funktionierte, halfen sie sich gegenseitig. An diesen Brasilianischen Abenden gönnten sie sich eine Auszeit von der täglichen Routine und Disziplin.
Pauline grinste, tunkte ein Stück Sellerie in den Quark-Dip und schob es langsam zwischen die geschürzten Lippen. »Mhm! Da kommt man direkt ins Träumen.«
»Das hilft nur bei Männern«, sagte Henry trocken und riss die Zuckermasse ab.
»Himmel, Hölle und Verdammnis. Tut das weh! Wenn du so weitermachst, kann ich mich am Mittwoch im Studio nicht sehen lassen.«
»Erzähl mir doch nicht, dass du dich nur für David quälst.« Henry trug eine neue Schicht auf.
»Stimmt, ich mach’s für Geld«, nuschelte Pauline und verschluckte sich fast an einer Karotte, als ihre Freundin die Ablenkung nutzte und auch diese klebrige Masse mit einem Ruck
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