Gib mir deine Seele
während er sie fragend ansah.
»Pauline Roth. Oui. Merci , Nicholas. Voilá tout .« Das Telefon verschwand in seiner Anzugtasche.
Entsetzt sagte sie: »Ich kann mir keinen Flug leisten!«
»Willst du vorsingen oder nicht?«
»Natürlich! Aber …«
»Na also. Dann ist das geklärt. Du fliegst mit der Mittagsmaschine nach Paris. Dort schläfst du dich aus und gibst morgen dein Bestes.« Er zeigte mit dem Kinn auf ihre Tasse. »Der Kaffee wird kalt, soll ich frischen bestellen?«
»Nein!«
»Keinen Kaffee, gut. Möchtest du etwas anderes? Tee?«
»Nein. Ich meine … das kann ich nicht annehmen. So ein Flug kostet ein Vermögen.«
Nun erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, das ihr den Atem raubte. Doch davon schien ihr Gegenüber zum Glück nichts zu bemerken – er tauchte sein Croissant in den Milchkaffee.
»Das Ticket war zufällig ausgesprochen preiswert. In zwei Wochen bin ich in London. Dann kannst du mir das Geld zurückgeben.«
Wovon? , dachte sie in einem Anflug von Verzweiflung, sagte aber nichts. Irgendwie würde sie es zusammenkratzen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie irgendwelche verrückten Jobs annahm, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Wichtig war zunächst die Audition in Paris, das andere fände sich schon. Und wenn alle Stricke rissen, hatte sie immer noch Tante Jill. Dann musste sie sich eben wieder einmal Geld von ihr leihen, um es später langsam abzustottern. Der Gedanke bereitete ihr Unbehagen.
»Du vertraust mir, einfach so?«
»Das wird sich zeigen«, sagte er etwas rätselhaft und widmete sich weiter seinem Frühstück.
Weil Pauline darauf keine Antwort einfiel, tat sie es ihm schließlich nach. Hin und wieder glaubte sie, seinen Blick auf sich zu spüren, aber sie wagte es nicht mehr aufzusehen. Es war verrückt. Dieser Mann hatte sie aus einer peinlichen, womöglich sogar gefährlichen Situation gerettet, sie danach in seinem Bett schlafen lassen, und nun konnte sie dank seiner Hilfe auch noch nach Paris fliegen. Warum tut jemand so etwas? , fragte sie sich. Constantin wirkte nicht wie ein Samariter. Er war reich und hatte garantiert keine Ahnung vom normalen Leben da draußen.
Wobei sie zugeben musste, dass der Alltag einer Sängerin in den Augen anderer vielleicht nicht ganz so normal war. Doch für sie war es das! Es war ihr Leben, und sie wollte kein anderes.
Ein Klappern schreckte sie aus den Gedanken.
Er hatte seine Tasse abgestellt und sah auf die Uhr. »Dein Taxi wird gleich hier sein.« Constantin schob ihr die Visitenkarte eines Londoner Hotels zu. »Melde dich Mittwoch in vierzehn Tagen dort.« Dass sie für diesen Tag andere Pläne haben könnte, daran schien er nicht zu denken, und sie wusste es nicht mehr.
Was ist bloß mit meinem Gedächtnis los?, fragte sie sich. In ihrer Erinnerung klafften große Lücken, und wenn sich eine schloss, schien sich direkt daneben eine neue aufzutun. Von all den offenen Fragen und der verwirrenden Gesamtsituation überfordert, nickte Pauline nur und stand auf, um sich fertig zu machen. Kaum hatte sie ihre Lieblingsstiefel angezogen und den Reißverschluss der Reisetasche geschlossen, rief die Rezeption an.
Constantin griff nach seiner Aktenmappe. »Das Taxi. Bist du so weit?« Er begleitete sie bis zum Anleger des Hotels, an dem schon das Boot wartete. »Das Ticket ist am Schalter der Alitalia hinterlegt.« Er nickte ihr zu, drehte sich auf dem Absatz um und ging davon.
Komischer Typ.
»Signora? Ist das Ihr gesamtes Gepäck?« Der Fahrer des Taxis riss Pauline mit seiner Frage aus ihren Gedanken. Rasch stieg sie in das sacht schaukelnde Boot, folgte dem Mann aber nicht in die halb offene Kabine, sondern setzte sich auf eine Bank an Deck.
Obwohl die Sonne schien, war es ein kühler Tag. Dankbar befühlte Pauline den neuen Pullover. Er wärmte himmlisch. Verzaubert von der Schönheit der Stadt, sah sie im Vorbeifahren zu einem steinernen Löwen auf. Eines Tages werde ich unter besseren Umständen hierher zurückzukehren, das schwöre ich. Ein Lichtstrahl traf plötzlich das venezianische Wappentier, und man hätte meinen können, es schüttele zustimmend seine Mähne. Pauline blinzelte überrascht. Na also! Ein gutes Omen , dachte sie und lehnte sich in den gepolsterten Sitz des Motorboots zurück, das nun in einen breiteren Kanal einbog und Fahrt aufnahm.
Das Motorengeräusch des Wassertaxis war noch zu hören, da hielt Constantin bereits sein Telefon in der Hand und erteilte Anweisungen. »Ich will alles über
Weitere Kostenlose Bücher