Gib mir deine Seele
Glastüren lautlos aufglitten, kam ihr eine Frau entgegen, die sie von irgendwoher zu kennen glaubte. Fast hätte Pauline sie gegrüßt, doch dann fiel ihr noch rechtzeitig ein, dass die Bekanntschaft nur einseitig war. Sie ging gerade an einer bekannten BBC -Journalistin vorbei.
Die nächste Überraschung begegnete ihr in Form einer bestimmt drei Meter hohen Bronzekatze. Das Tier thronte wie ein Buddha in der Lobby und schien alles im Blick zu haben. Pauline tat es ihm nach, blieb stehen und sah sich gründlich um.
Constantin war nicht zu sehen, und so ging sie zur Rezeption. »Ich bin Pauline Roth und mit Constantin …« O Gott, ich weiß seinen Nachnamen nicht!
»Ah! Guten Abend, Ms. Roth«, erlöste sie der Empfangsmitarbeiter. »Mr. Dumont erwartet Sie im Refuel.« Er winkte einen Kollegen herbei. »John wird Sie dorthin begleiten.«
John war etwa in ihrem Alter, trug einen dunklen Anzug, der nicht gerade billig aussah, und nur das Namensschild am Revers wies darauf hin, dass er kein Gast war. Dezent dirigierte er sie durch die Eingangshalle bis zum Eingang des Bar-Restaurants, wo er stehen blieb und sie anlächelte. »Ein scheußliches Wetter heute.« Dabei sah er auf ihre grob gestrickte Mütze, deren Rand so ausgeleiert war, dass sie ihr ständig über die Augen zu rutschen drohte.
»Oh! Danke sehr«, sagte sie nach einer Sekunde des Nichtbegreifens. »Kann ich mir irgendwo die Hände waschen?«
»Aber ja.« Er wies ihr den Weg. »Lassen Sie sich Zeit, ich warte hier und begleite Sie dann zu Mr. Dumont.«
Ein Blick in den Spiegel zeigte gleich darauf, dass sie diesem John dankbar sein musste. »Ich sehe ja aus wie eine Vogelscheuche!«
Die Frau, die aus einer der Toilettenkabinen trat, war derselben Ansicht. Jedenfalls glaubte Pauline das, als ihr missbilligender Blick sie traf. Zicke! Schnell nahm sie Schal und Mütze ab und zog die Jacke aus. Vielleicht hätte sie doch die Pumps einstecken und nicht diese Wollstrümpfe anziehen sollen, so wie Henry es ihr empfohlen hatte. Dazu aber hätte nur das schwarze Kleid gepasst, das sie immer zum Vorsingen trug. Dummerweise hatte sie sich versehentlich Joghurt an den Ärmel geschmiert, und so hing es nun zum Trocknen über der Heizung in ihrem Zimmer, weil sie es doch morgen brauchte.
Mit schnellen Strichen bürstete Pauline die dunklen Locken, zögerte kurz und drehte sie dann doch mit einer routinierten Bewegung zusammen, um sie mit einem einfachen Holzstab am Hinterkopf aufzustecken. Diese Frisur, das hoffte sie zumindest, wirkte seriös und nahm der schlichten Kombination aus Rock und Pulli das Schulmädchenhafte, ohne allzu streng zu wirken.
John strahlte sie wenig später an, als wollte er sagen: Hab ich’s mir doch gedacht, dass unter der Verkleidung etwas Ansehnliches zum Vorschein kommt. Die offenkundige Sympathie, die er ihr entgegenbrachte, stärkte Paulines Selbstbewusstsein. Sogar ein leichter Hüftschwung gelang ihr, als sie ihm durch die gut besuchte Hotelbar folgte.
Da saß er. Constantin. Constantin Dumont, wie sie nun wusste. Fasziniert beobachtete sie, wie er den Kopf hob, ein kurzes Lächeln sein Gesicht erhellte und er mit einer geschmeidigen Bewegung aufstand. Zweifellos ein attraktiver Mann. Auch ohne den offenkundigen Wohlstand, den sein tadelloser Anzug erkennen ließ, wäre er ihr ausgesprochen begehrenswert erschienen.
Deutlich – und zu ihrem Missvergnügen – signalisierten einige der Gäste durch mehr oder weniger subtile Zeichen ebenfalls Interesse an ihrem Date.
Wann ist diese Geldübergabe eigentlich zum »Date« geworden? , fragte sie sich kurzfristig abgelenkt vom merkwürdigen Verhalten der Blondine am Nachbartisch, die ihn mit dunkel geschminkten Augen fixierte und dabei betont gleichgültig ein Bein überschlug. An der Bar steckten zwei andere junge Frauen die Köpfe zusammen und sahen kichernd herüber, der Mann neben ihnen zwinkerte Constantin ziemlich dreist zu, und eine ältliche Rothaarige ging sogar so weit, den obersten Knopf ihrer Bluse zu öffnen.
Pauline allerdings trocknete der Hals aus, während sie die letzten Schritte bis zu seinem Tisch zurücklegte. Angestrengt suchte sie nach einer lässigen Begrüßung, um die zurückgekehrte Nervosität zu überspielen. Doch gerade als sie sprechen wollte, begrüßte er sie.
»Pünktlich. Gut. Nimm Platz.«
Schön, reich, aber mit unmöglichen Manieren , dachte Pauline und hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht.
John verhinderte ihre Flucht, indem
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