Gibraltar
Smartphone einen Service eingerichtet, der eingehende Kurzmitteilungen automatisch an sein Diensthandy weiterleitet, auch, wenn es ausgeschaltet ist.« Sie wählte die betreffende Kurznachricht aus und hielt Gudvang dann das BlackBerry hin, sodass er das Display einsehen konnte: Welcome to Gibtelecom.
»Die SMS der Netzbetreiber. Alle Achtung«, ließ sich Gudvang jetzt mit einem sachverständigen Kopfnicken vernehmen. Er schien darüber nachzudenken; seine Flugangst war nun offenbar gänzlich vergessen. Nach einer Weile drehte er sich wieder zu ihr, ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Und was macht Sie so sicher, dass er in Schwierigkeiten steckt?«
»Was meinen Sie damit?«
»Gar nichts.« Er hob in gespielter Unschuldigkeit die Augenbrauen und legte die Hand auf seine Brust. »Ich meine nur: Vielleicht will er ja gar nicht gefunden werden.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Sie kennen uns nicht.«
Eine Pause entstand. Sie versuchte, den Misston irgendwie zu übergehen. Gudvangs Bemerkung, eine Unterstellung eigentlich, kam ihr unnötig böswillig vor. Welchen Gewinn konnte dieser Mensch daraus ziehen, ihre Beziehung zu ihrem Mann zu diskreditieren, ohne sie auch nur zu kennen? Unversehens dachte sie an ihre erste Begegnung mit Bernhards Eltern zurück, in der sie die leidvolle Erfahrung gemacht hatte, wie viel kleinmütige Missgunst sich hinter der zugewandten Fassade bestimmter Menschen verbergen konnte.
Bernhards Eltern lebten in einer pfälzischen Kleinstadt in der Nähe von Mannheim, die für Carmen die Vergegenständlichung des schönen deutschen Wortes Mief war. Das Ehepaar wohnte in einem kleinen weißen Einfamilienhaus; vor der Einfahrt stand ein Mittelklassewagen, der Rasen im Vorgarten war getrimmt, und zu dem besonderen Anlass war das gute Porzellan aus der Vitrine geholt worden.
Bernhard hatte den Besuch lange zu verhindern versucht; als sein Vater die Tür öffnete und sie aufgefordert wurden, die Schuhe auszuziehen, wusste Carmen, warum. Er bildet sich etwas darauf ein, selbstständig zu sein , hatte Bernhard sie gewarnt. Einen eigenen Betrieb zu haben. Auch wenn er nicht wahrhaben will, dass er seit Jahren rote Zahlen schreibt. Sie hatte sich von jedweder Vorverurteilung frei gehalten, immerhin waren es Bernhards Eltern gewesen; sie wollte sich so gut wie möglich mit ihnen verstehen, und nicht zuletzt sah sie es als eine Möglichkeit, mehr über ihren zukünftigen Mann zu erfahren. Denn ihr zukünftiger Mann war, sosehr sie ihn liebte, auch damals schon nicht sehr auskunftsfreudig gewesen.
Beim Essen erzählte sie ein wenig von sich und wie sie mit ihrem Vater nach Deutschland gekommen und was es für eine schwierige Zeit für sie gewesen war.
»Na, da hams jo mit unsern Sohnemann eine gute Partie gemacht, oder?«
Bernhards Vater war taktlos, darüber war sie vorgewarnt gewesen. Später, als das Verhältnis zu seinen Eltern endgültig erloschen war, bestätigte Bernhard ihr, dass sie sich, bei allem Wohlwollen, nicht anders hätte verhalten können, als sie es getan hatte. Sie hatte heiligen Respekt vor jedermanns Eltern, doch es gab eine Grenze des Respekts, ab der man sich vor Verleumdungen zur Wehr setzen durfte. Carmen hatte es noch nie nötig gehabt, sich jener Gehässigkeit und Niedertracht zu bedienen, die andere Menschen gegen sie ins Feld führten. Sie zog es vor, ihre Gegner an der Stumpfheit ihrer eigenen Waffen ermatten zu lassen.
»Aha«, sagte sie im Ton freundlicher Neugier. »Wie meinen Sie das denn?«
»Na, er isch jo ziemlich erfolgreich. Sie wären materiell abgesichert.«
Sie schnitt ein Stück Braten und befreite es demonstrativ von einer Sehne, die sie gut sichtbar am Rand des Tellers platzierte. Dann betupfte sie ihre Mundwinkel mit der Papierserviette und sagte: »Ich höre heraus, wie stolz Sie darauf sind, was Ihr Sohn dank Ihrer großzügigen und selbstlosen Unterstützung erreicht hat.«
Bernhard neben ihr zeigte keine Reaktion, er blickte nicht einmal auf oder legte das Besteck ab. Er hatte gewusst, dachte Carmen jetzt, was kommen würde: dass seine Eltern einen Kampf begonnen hatten, den sie nicht gewinnen konnten. Bernhard selbst hatte das Kämpfen schon vor langer Zeit aufgegeben. Doch er hatte seine Erzeuger aus Rücksicht bisher vor der Erkenntnis verschont, dass er der wahre Gewinner war. Weil er sie nicht verletzen wollte. Weil er ein guter Sohn war, der seine Eltern mit der Wahrheit über ihre Kläglichkeit nicht
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