Gibraltar
Verzweiflung der Selbstaufgabe und nichts von der Tragik, einen solchen Menschen an seiner eigenen Größe zugrunde gehen zu sehen. Diese Leute redeten von Selbstlosigkeit und meinten Egoismus, und hinter ihrer graugesichtigen Freundlichkeit steckte nichts als die Furcht, für die kleinmütigen Versager gehalten zu werden, die sie in Wahrheit waren.
Sie waren dann noch bis zum Kuchen geblieben, den Carmen allerdings abgelehnt hatte. Auf der Rückfahrt nach Frankfurt hatte Bernhard sie angelächelt. Es war ein erleichtertes Lächeln gewesen, ein dankbares; denn mit diesem Besuch hatten sich alle zukünftigen erübrigt, die letztlich doch nur Zeitverschwendung gewesen wären. Sie erinnerte sich, wie sie nach Einbruch der Dunkelheit auf einem abgelegenen Rastplatz haltgemacht und sich im trüben Schein einer Gaslampe mit reißender Begierde geliebt hatten.
Sie bemerkte erst, als Gudvang sie wieder ansprach, dass sie bei der Erinnerung versonnen zu lächeln angefangen hatte. »Hm?«
»Ich wollte wissen, was Ihr Mann denn genau bei der Bank macht?«
»Er ist Händler. Ein Prop Trader . Wissen Sie, was das ist?«
»Eigenhandel. Das heißt, er dreht die richtig großen Dinger, hm?«
»Er ist bei einer kleinen Bank. Aber sehr erfolgreich.«
»Erfolgreich dabei, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, nehme ich an.«
Gudvangs Benehmen hatte sich inzwischen dem hemdsärmligen Gestus jener Thekengespräche angenähert, die er sonst führen mochte, was ihm dank seines hemmungslosen Schnapskonsums aber höchstwahrscheinlich entging. Sie hatte sich jedoch entschieden, darüber hinwegzusehen. Sie sah auf ihre Uhr: Der Flug dauerte nun bereits gute neunzig Minuten; in weniger als weiteren neunzig würden sie in Málaga gelandet sein. Alles geschah vollkommen nach Plan, dachte sie; es bestand kein Grund, sich über irgendetwas aufzuregen.
»Erfolg hat nicht notwendigerweise damit zu tun, dass man jemanden übervorteilt«, wandte sie apodiktisch ein. »Und Sie sollten auch nicht glauben, ich sei nur wegen seines Erfolgs mit ihm verheiratet.«
»Das würde ich mir niemals anmaßen«, gab Gudvang mit gespitzten Lippen zurück.
Letztlich war es ein Glück und Segen gewesen, dachte sie, dass Bernhard bei Alberts geblieben war. Ihm unterstand eine eigene Abteilung, in der er nach seinem Gutdünken walten konnte; er saß als einziges Besatzungsmitglied in einer Art interstellarem Raumschiff, in dem er außer über seine Monitore und das Telefon kaum Außenkontakte unterhielt, und war, was den Profit der Bank anging, ihre Schaltstelle. Eine Zeitlang hätte sie es gern gesehen, wenn er die Angebote anderer Banken angenommen hätte; er hätte hoch dotierte Positionen in Paris, sogar in London haben können, und dies sogar schon recht bald, nachdem er sich bei Alberts seine ersten Meriten verdient hatte.
»Wirst du das Angebot der Paribas annehmen?«
Sie waren damals in Kenia gewesen, ein zweiwöchiger Strandurlaub in einem paradiesischen Resort namens The African Dream, das unmittelbar an einem Privatstrand gelegen war, der täglich zweimal gesiebt wurde. Sie war damals im vierten Monat schwanger gewesen mit Manuel, und Bernhard hatte als Asset-Manager bei Alberts eine mehr als solide Startposition für seine weitere Karriere innegehabt. Der Service in diesem Hotel war traumhaft gewesen; noch der kleinste Wunsch wurde ihnen vom perfekt geschulten Personal von den Augen abgelesen. Die Anlage, zum Pool hin mit verschiedenen palmbedachten Strandbars und Spa-Bereichen versehen, hatte so gar nichts zu tun mit dem schrecklichen Gewusel und typisch afrikanischen Dreck in der Innenstadt von Malindi, wohin sie zusammen mit Valerie einen einzigen Tagesausflug mit dem Tuk-Tuk gemacht hatten, dem indiskutablen volkstümlichen Fortbewegungsmittel. Sie hatte nichts gegen die Nähe zu diesen einfachen Menschen einzuwenden, doch all diese Gerüche auf engstem Raum, die fremdartigen Dialekte und das respektlose Gebaren der Straßenhändler hatten wenig mit ihren Vorstellungen einer Reise zu tun, die, der Bedeutung ihres Anlasses angemessen, doch ganz auf sie beide zugeschnitten sein sollte. Natürlich hatte auch die 13-jährige Valerie damals wenig Einsehen und Verständnis und verlangte meist das Gegenteil dessen, wonach Carmen der Sinn stand; und da sie diese aufsässige und zerstörerische Seite ihrer Tochter nur zu gut kannte, ließ sie ihr ihren Willen, so dass Valerie mit einem der Sicherheitsleute des Resorts Malindi so oft
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