Gibraltar
Schwarzwaldes dahinfließen sehen, die jäh ansteigenden Hänge des Feldbergs wechselvoll in Licht und Schatten getaucht – das Oben und Unten zweier gegensätzlicher und doch verbundener Welten.
»Ich habe – hatte – einen Kompagnon. Spanier. Der hat das Finanzielle geregelt. Wenn man das ›regeln‹ nennen kann.« Er lachte bitter. »Hat die Löhne ausgezahlt, die Steuern. Na ja. Oder auch nicht.«
»Sie haben sich zerstritten?«
»Wir haben uns … Na ja, natürlich haben wir … Ich meine, wenn so was passiert, dann ist das mit der Freundschaft … Jedenfalls hat sich Fernando aus dem Staub gemacht. Und ich darf jetzt die Scherben zusammenfegen.«
»Das heißt aber doch, dass Sie aus der Sache heil herauskommen?« Carmen legte einen besorgten Unterton in ihre Stimme. Sie hatte das Gefühl, dass der Mann ihr vertraute und alles, was sie zu wissen begehrte, erzählen würde – wenngleich in geschönter, von allen unrühmlichen Details befreiter Version der Geschichte. Zu offensichtlich verriet ihr schon der unsägliche Anzug, dass seine Seriosität größtenteils behauptet war.
»Wie man’s nimmt … Die kommen mir jetzt mit der Steuerfahndung … Was völlig an den Haaren herbeigezogen ist, ich meine, ich habe die Formulare selbst weggeschickt … Aber von meiner Bank kriege ich keinen Kredit mehr. Keinen Cent. Einfach fallengelassen haben die mich.« Er winkte ab, seine Stimme bebte unter dem Anbranden seiner Wut. »Sei’s drum«, sagte er, sich offensichtlich einen Ruck gebend. »Jetzt bring ich das Kapitel hinter mich, und dann geht’s zurück nach Deutschland.«
Sie nickte wissend und atmete geräuschvoll aus zum Zeichen dafür, dass sie an seinem Unglück durchaus Anteil nahm. »Und? Haben Sie schon Pläne für Ihre weitere Zukunft?«
»Das kann man wohl sagen. Ich –«
»Verzeihung«, unterbrach Carmen ihn, »aber wenn Sie mich kurz entschuldigen wollen«, und indem sie sich erhob und in Richtung des Kabinenausgangs wies, bedeutete sie ihm ihre Absicht, das WC aufzusuchen. Ihr Concealer hatte die Angewohnheit, bei erhöhten Temperaturen zu verlaufen, weswegen sie ihn von Zeit zu Zeit mit Puder fixieren musste. Im Spiegel sah sie allerdings, dass ihre Sorge unbegründet gewesen war. Auch ihr Haar war so weit in Ordnung, und so konnte sie beruhigt zu ihrem Platz zurückkehren.
Sie war sicher, dass Gudvang sich nun seinerseits nach dem Grund ihrer Reise erkundigen würde. Das war ihr durchaus recht; und um ihn nicht davon abzuhalten, machte sie keinerlei Anstalten, noch einmal auf die Ausführung seiner aktuellen Vorhaben zurückzukommen.
»Und Sie? Machen Sie Urlaub?«, fragte Gudvang in der Tat nach einer Weile.
Sie lächelte geheimnisvoll. »Nein, das kann man so nicht sagen. Ich bin eher auf dem Weg in ein … Abenteuer.«
»Ah so«, sagte der Mann, während er sich erneut nach der Flugbegleiterin umsah, um gleich mit dem Rest aus seinem Flachmann seinen leeren Plastikbecher nachzufüllen. Carmen beugte sich leicht zu ihm und senkte die Stimme. »Ich bin auf der Suche nach meinem Mann. Er ist … auf der Flucht.«
Gudvang ließ den Becher sinken und hob die Augenbrauen. »Doch wohl nicht vor Ihnen?«
Sie überging den Kommentar. »Mein Mann arbeitet bei einer Bank.«
»Ah«, wandte Gudvang mürrisch ein. »Meine ganz speziellen Freunde.«
Wie ihr vorher nicht aufgefallen war, hatte Gudvang schorfige, nikotingelbe Fingernägel, die überdies dringend hätten geschnitten werden müssen. Unwillkürlich vergrößerte sie den Abstand zwischen ihnen ein wenig.
»Es ist wahr, die Branche hat gegenwärtig nicht den besten Ruf«, gab sie sachlich zurück.
»Das ist die Untertreibung des Jahres. Ich weiß nur zu genau, was für einen Ruf diese Branche hat. Wegen dieser Branche habe ich überhaupt meine ganzen Probleme da unten. Aber drauf geschissen, Verzeihung. Was hat Ihr Mann denn ausgefressen? Hat er die Bank beklaut? Würde mich freuen.«
Gudvang hatte sich Carmen, ermuntert vermutlich vom Alkohol, nun seinerseits angenähert. Auch wenn die Aura des Versagens, die sie an ihm wahrnahm, Carmen abstieß, ließ sie es geschehen.
»Wenn Sie mir versprechen, absolutes Stillschweigen zu bewahren«, fuhr sie fort, »dann erzähle ich Ihnen etwas, das Sie nicht für möglich halten werden.«
»Stillschweigen bewahren ist meine Spezialdisziplin. Ihr Mann hat also die Bank …?«
Leiser noch als zuvor flüsterte Carmen: »Sie müssen mir versprechen, dass Sie darüber mit
Weitere Kostenlose Bücher