Gibraltar

Hotel. Stell dir das mal vor, fünf frierende Männer im Schnee, mit Rollkoffern und völlig durchnässten Budapestern. Es war demütigend.
    Das Treffen fand statt bei Schallhammer im Konferenzraum, in der Inneren Stadt. Das ganze Managementteam war schon dort, als wir ankamen. Saß um den Tisch herum und futterte Kanapees, wie bei einer Cocktailparty. Das Interieur eine Mischung aus Chippendale und Chrom. Protzig. Geschmacklos. Inzwischen war ich in einer ziemlich heiklen Stimmung. Mir war klar: Ich war derjenige, der dringend einen Geldgeber suchte, und hier war der Geldgeber, und trotzdem kam es mir vor, als stünden wir vor der feindlichen Übernahme. Schlimmer war, dass Bernhard fehlte. Er sollte meine Stütze sein, meine rechte Hand. Feldberg wird sich wohl gefragt haben, warum ich ihn eigentlich mitgenommen hatte. Du fragst es dich wahrscheinlich auch. Bernhard war irgendein Händler, das ist schon richtig. Aber ich telefonierte damals fast jeden Tag mit ihm. Bei ihm wusste ich immer, woran ich war. Er gab nichts auf Etikette, Höflichkeit oder Verhandlungsstil, allesamt Dinge, in denen ich zu einem gewissen Konservativismus neige. Und nichts gegen Lasch, aber Lasch ist noch schlimmer als ich, das hat nichts mit dem Namen zu tun. Bernhard dagegen hatte immer einen klaren, nüchternen Blick für die Dinge, und seine Ehrlichkeit war unkorrumpierbar.
    Schallhammer junior, noch keine vierzig, war in Golfkleidung erschienen. In Golfkleidung! Im Dezember! Ich weiß nicht, was er uns damit sagen wollte. Jedenfalls saß er in einem großen Ohrensessel, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme ruhig auf den Lehnen. Wie Al Pacino in   Der Pate . Du kennst doch den Paten? – Ich habe dir das nie gesagt, aber ich liebe die Filme.   Buona Sera, Sie schulden Mister Corleone noch einen Gefallen  … Wir hätten uns das unbedingt mal zusammen ansehen sollen, Thomas. Wir haben nie einen Film zusammen gesehen, oder? – Jedenfalls vertiefte das meine Abneigung gegen Al Pacino junior immens. Ich habe ihn übrigens schon vorher nicht besonders gut leiden können, ein Gernegroß, der seinen Vater behandelte wie einen Narren. Jedenfalls. Ich bedeutete ihm, er solle anfangen, immerhin waren wir die Gäste, aber er überließ mir das Wort. Eine Weile lang sagte niemand etwas. Ich hatte vor lauter Frust schon sämtliche Kanapees verputzt und beinahe vergessen, weshalb wir überhaupt da waren.
    Schließlich brachte ich ins Gespräch, dass ich unter bestimmten Umständen bereit sei, die Investmentsparte zu verkaufen. Mag sein, ich war etwas weitschweifig. Schallhammer junior hob die Augenbrauen, als sei er überrascht. Ich sage dir, Thomas: Ich erkenne einen Schauspieler, wenn ich einen sehe. Die Sache wurde mir immer unangenehmer, peinlich im Grunde. Ich kannte natürlich die letzten Zahlen, aber im Grunde war ich lausig vorbereitet. Mir war nur klar, dass wir dringend frisches Geld brauchten. Feldberg hatte auf dem Flug noch mal alle gebrieft, im Gegensatz zu mir hatte er eine Strategie. Für ihn war der Verkauf bereits beschlossene Sache. Aber ich hatte nichts gesagt, den ganzen Flug über. Hatte entweder geschlafen oder von etwas anderem geredet. Es ging um die Bank, meine Güte. Meine Bank. Unsere Bank.
    Schallhammer junior also gönnerhaft. Lasch betreten, ohne Plan. Hafer-Laurisch döste, oder was weiß ich. Feldberg schien mir als Einziger auf dem Posten, saß kerzengerade da, einen Packen Papiere auf dem Schoß. Irgendwann unterbrach er mich. Ja, ich glaube, er unterbrach mich und nannte unsere Bedingungen für einen Verkauf. Er sagte irgendwas in der Richtung, dass wir langsam konkreter werden müssten. Ich stellte fest, dass es kalt war wie in einem Bunker, es zog mir um die Nieren, und ich sagte mir: Ich will nicht an Leute verkaufen, die es nicht mal schaffen, ihre Arbeitsräume ordentlich zu beheizen.
    Jedenfalls sagte Junior schließlich zu Feldberg, dass er sich eine Zusammenarbeit mit Alberts grundsätzlich vorstellen könne. Die Österreicher sind ja bekannt dafür, dass sie nie geradeheraus sagen, was sie wollen, also sagte ich geradeheraus unseren Preis. 40 Euro pro Aktie, dazu Optionsscheine. Feldberg sah mich an, als hätte ich grundlos seine Mutter beleidigt. Der Kurs stand zu der Zeit zwischen 34 und 35 Euro, Tendenz leicht fallend. Oder nicht leicht, die Aktie fiel, verdammt noch mal. Feldberg hatte noch im Flugzeug gesagt, dass wir vielleicht nicht auf dem fairen Mindestpreis beharren sollten, dazu