Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
Vom Netzwerk:
verheimlichen, dass sie das Geld aus dem Nichts schöpfen. Und es reicht trotzdem nicht. Sie verteidigen ihre Werte, indem sie sie verbrennen.
    Noch glauben die Menschen an das Prinzip, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen. Immer. Es ist das eherne Gesetz des Kapitalismus. Aber wenn sie mitbekommen, dass den Banken ihre Kredite der Reihe nach erlassen werden, dann werden die Menschen ihren Glauben an dieses Prinzip verlieren. Dann wird das große Abschreiben zur Regel werden, und niemand wird mehr etwas davon wissen wollen, seine Schulden zu begleichen. Es wird den Leuten sogar wie ein Spuk vorkommen, dass sie sich jemals die Mühe gemacht haben. Und damit wird jede Form der Verbindlichkeit enden.
    Dass sie diesen Weg einschlagen, damit konnte niemand rechnen. Ich hätte an Bernhards Stelle genauso gehandelt. Ich will nichts beschönigen, das hätte keinen Sinn mehr. Der Junge hat viele Fehler gemacht, aber darauf zu setzen, dass Schulden entweder bezahlt werden oder zum Bankrott führen, gehörte nicht dazu.

4
    Ich erinnere mich an dieses Gespräch mit Stefanie, das ich vor Jahren in unserer Küche mit ihr hatte. Es war etwa ein halbes Jahr nachdem sie mir mitgeteilt hatte, dass das Bankgeschäft nichts für sie sei. Gott, ist das lange her. Ich habe ewig nicht mehr daran gedacht … warum eigentlich nicht? Wir waren uns so nahe an diesem Abend wie kaum jemals zuvor oder danach. Es war Heiligabend. Ihr wart beide zu Besuch da, Stefanie war eben dabei, ihr Studium abzuschließen. Vielleicht erinnerst du dich gar nicht mehr, ihr seid früh ins Bett gegangen, du und deine Mutter. Das Essen war vortrefflich gewesen, wir hatten Hasenrücken gehabt, der Schlachter hatte in den Tagen zuvor eine Lieferung vom Förster bekommen. Leider biss man hier und dort auf Schrot. Daran lag es aber nicht, dass die Stimmung nicht die beste war. Die Stimmung war nie die beste, wenn wir im Familienkreis saßen, das muss ich zugeben. Ihr seid nicht gern gekommen, ich weiß das. Ich weiß auch, weswegen. Ich hätte mir gewünscht, dass es anders ist. Kinder, die wenigstens über Weihnachten gern nach Hause kommen, welche Eltern wünschen sich das nicht? Ich habe den ganzen Abend über versucht, ein Gespräch mit euch zu führen. Mit dir. Stefanie war ohnehin guter Dinge gewesen, nicht so verkrampft wie wir anderen. Irgendwie ist es uns nicht gelungen, Thomas. Das soll kein Vorwurf sein. Aber du hast nur den rücksichtslosen und opportunistischen Geldschneider in mir gesehen. Und wenn ich versucht habe, dich vom Gegenteil zu überzeugen, bist du ausgestiegen. Wolltest über die Stiftung und die neue Energie und unsere Insolvenzpolitik nichts wissen. Hast mechanisch gegessen und in immer kürzeren Abständen zum Weinglas gegriffen. Ich glaube, es sind drei Flaschen weggegangen an diesem Abend. Obwohl deine Mutter und Stefanie so gut wie nichts getrunken haben. Ich war schon ein bisschen beduselt, als ihr euch verabschiedet habt.
    Ich hatte von meinem Museum erzählt, das ich kurz zuvor hatte erweitern lassen, ich erinnere mich an jedes einzelne Wort. Es war ein Gespräch, wie ich nicht oft eines führte, nicht mit dir und auch mit sonst niemandem, Stefanie. Es war einer jener Momente, an die man sich an seinem Lebensende erinnert, weißt du? Es war kein Schlüsselereignis, keine Weichenstellung, alles zwischen uns hatte sich längst entschieden. Es war … für mich war es der Moment, in dem ich voller Glück erkannte, dass aus meinen Kindern erwachsene Menschen geworden waren.
    »Warum sollte den Menschen deine Sammlung gefallen?«, hast du mich gefragt. Ich weiß noch, dass ich übermütig war an diesem Abend. Und dass du dich davon nicht hast einschüchtern lassen.
    »Stell die Frage noch mal. Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst.«
    »Wenn du weißt, was ich sagen will, warum soll ich dann die Frage noch mal stellen?«
    »Damit du lernst, dich klar auszudrücken.«
    »Ich habe mich klar ausgedrückt, denke ich.«
    »Das hast du nicht. Du hast gefragt, warum sich die Leute meine Sammlung ansehen sollen. Das kann ich dir nicht sagen. Niemand kann das. Weil niemand weiß, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Was du von mir wissen willst, ist etwas anderes.«
    »Und was?«
    »Es ist nicht meine Aufgabe, dir zu sagen, was du von mir wissen willst.«
    »Nein. Außerdem kannst du gar nicht wissen, was das ist.«
    »Gut aufgepasst.«
    »Wir sind hier aber nicht in der Schule oder so was?«
    »Nein. Nicht dass ich

Weitere Kostenlose Bücher