Gibraltar
Ich wollte, womit ich mein Leben verbracht habe, nicht dem nächstbesten Pfuscher anvertrauen, der gleich in die Pleite schlittert und das Unternehmen in seine Einzelteile zerlegt. Und ich habe verhindern wollen, dass du alles, was du dir erarbeiten könntest, wegwirfst, nur um ein armer Schlucker zu werden wie deine Freunde. Versteh mich richtig: Ich verurteile nicht die Armut, sondern was sie aus dem Charakter der Menschen macht. Der Reichtum bekommt dem Charakter nicht, das stimmt, aber die Armut bekommt ihm noch weniger, stimmt doch, Helene, nicht wahr? Der Reichtum macht den Menschen berechnend und hochmütig, die Armut berechnend und neidisch. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Wie man es macht, ist es falsch, was, Feldberg?
Aber machen wir uns doch nichts vor: Wir gehen alle nackt hinüber. Und ich, ich weiß noch nicht einmal, wohin ich gehe. Mein Vater, Gott hab ihn selig, glaubte an die göttliche Gnade. Ich bin da weniger optimistisch. Ich kann schon halb hinübersehen, Thomas, und glaub mir: Ich sehe nichts. Gar nichts.
3
Ich habe deinen Weg immer verfolgt, Thomas. Vielleicht wirst du es nicht glauben, vielleicht wirst du es nicht verstehen. Aber ich war immer bei dir. Damals als du bei deiner Approbation warst – da redeten wir schon nicht mehr miteinander –, kam Bernhard zu mir. Er arbeitete da seit etwa zwei Jahren für mich. Er hatte Probleme mit seiner Stieftochter, die in seiner Familie Unfrieden stiftete und psychische Zustände hatte. Er erzählte mir einiges, er … Es belastete ihn. Ich vermittelte ihn an dich, Thomas. Ich verwies ihn an die Station, in der du damals deinen Facharzt machtest. Und weißt du: Ich war stolz. Ich war dein unsichtbarer Schutzpatron, Thomas, und meine Schuldgefühle waren weitaus größer als dein Zorn auf mich. Ich habe immer an dich geglaubt. Ich würde dir gern sagen, dass Valeries Eltern dir zu keinem Zeitpunkt die Schuld gegeben haben. Bernhard hat nicht viel darüber geredet, aber den Selbstmordversuch seiner Tochter hat er nie mit dir in Verbindung gebracht. Nicht einmal gedacht haben sie daran. Ich hätte gern mit dir geredet, damals. Ich hätte dich bekniet, deinen Wunschberuf nicht aufzugeben wegen so einer Sache. Aber du hättest mir nicht zugehört. Natürlich nicht. Der Stolz macht uns blind, Thomas: dich genauso wie mich.
Ich habe nicht aufgehört, meine Hand über dich zu halten. Ich habe meine Hand auch über Carolin gehalten: Du weißt, Thomas, dass ich niemanden im Stich lasse, ob Familie oder Mitarbeiter. Ich sehe, wie du es verachtet hast, wenn ich beide in einem Atemzug nannte; du fühltest dich zurückgesetzt. Aber so ist es nicht. Vielleicht ist die Epoche, die uns trennt, der Grund für dieses Missverständnis.
Ich weiß, dass ich dich mit meiner Hilfe hintergangen habe. Was gäbe ich darum, dich dafür um Verzeihung bitten zu können. Als ich von Stefanie hörte, dass du dich selbstständig gemacht hast, habe ich mir einen deiner Werbezettel von ihr schicken lassen. »Ratgeber«. Ich fand das eine schöne Idee. Nichts, was nach Krankheit klingt; einen Rat kann schließlich jeder brauchen. Deine Diskretion kam meiner Idee entgegen, denn so konnte ich deine Werbung nachdrucken lassen. Ich habe dich meinen Mitarbeitern als Supervisor empfohlen. Auch Geschäftsfreunden. Alle, die dich angerufen haben, haben freiwillig angerufen. Ich habe niemanden gedrängt. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass das Geld letztlich von mir kam. Immerhin hast du es für ehrliche Arbeit bekommen, Thomas. Für die Arbeit, die du liebst. Ich bewundere die Menschen, die die Arbeit tun können, die sie lieben.
Bernhard liebte die, die du nicht wolltest. Jeder Mensch hat seine Talente, und Bernhard ist ein besserer Banker, als du jemals hättest werden können, Thomas, auch ein weitaus besserer als ich. Das ist einfach so. Er ist mit Leib und Seele, was er tut. Ich habe mit ihm keinen schlechten Tausch gemacht, jedenfalls habe ich das lange gedacht. Er hatte viele Angebote, zu einer anderen Bank zu gehen, über Jahre hinweg. Ich habe mich immer gewundert, dass du nicht gegangen bist, Bernhard. Andererseits hättest du bei keiner anderen Bank haben können, was du bei uns gehabt hast. Ich habe mir deine Loyalität einiges kosten lassen, nicht nur Geld. Ich habe dir mein Vertrauen geschenkt, Vertrauen, so viel du wolltest. Ich wusste immer, dass du ein ganz besonderes Talent hattest. Instinkt. Und ich habe immer darauf vertraut, dass es dir im Grunde
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