Gibraltar
Ersparnisse kümmern. Das ist der Gipfel an Verlogenheit, wenn du mich fragst, Thomas. Du bist diesen Leuten auf den Leim gegangen. Als du mir Carolin vorgestellt hast, wusste ich gleich, wen ich da vor mir hatte. Ich habe auch gesehen, wie du dich verändert hast in kürzester Zeit. Dieser ganze Irrsinn, in den du dich hineingesteigert hast. Dein abweisendes Verhalten. Die unterdrückten Aggressionen. Es hätte ja Möglichkeiten gegeben, sich mit mir zu streiten, ich bin nicht wie mein Vater, der jeglichen Widerspruch unter Strafe gestellt hat. Aber du hast keinerlei Anstalten dazu gemacht, Thomas, ich glaube, dir fehlte einfach der Mut. Du hast gemerkt, dass du dir so sicher doch nicht sein konntest mit deinen Vorwürfen. Und das wiederum bedeutet für mich, dass du auch an deine Beziehung zu Carolin nicht geglaubt hast.
Ich habe später oft über meine Entscheidung nachgedacht. Das kannst du mir glauben. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leichtgemacht. Du darfst nicht glauben, dass ich eure Beziehung aus Standesdünkel, aus Arroganz verhindern wollte. Auch bei mir war schon angekommen, dass sich die Zeiten geändert hatten, das darfst du mir ruhig glauben. Als mein Vater noch das Bankhaus führte, galten noch ganz andere Gesetze. Damals war das mit dem Heiraten noch eine schwierige Sache. Das war fast wie in den Königshäusern, wo sich nicht zwei Menschen verheirateten, sondern zwei Familien. Wo man sich den Erhalt und die Prosperität der Dynastie erhoffte. Mit diesem Denken hatte ich aber nie etwas zu tun.
Natürlich warst du blind, das ist man immer, ich bin es selbst gewesen als junger Mann. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann diese Entscheidung nicht selber treffen, jemand von außen muss die Verantwortung übernehmen. Es ist eine undankbare Aufgabe, mit der ich oft gehadert habe, Thomas. Wenn du noch immer glaubst, ich hätte damals mutwillig deine Aussicht auf ein glückliches Leben zerschlagen wollen, ohne dafür einen triftigen Grund gehabt zu haben, dann bedaure ich das. Ich bedaure es zutiefst. Allerdings würde das nur bedeuten, dass du meine Entscheidung nie wirklich begriffen hast.
Ich weiß, ich hatte nicht das Recht, mich in deine Beziehung einzumischen, aber die Frau hätte dich unglücklich gemacht, Thomas. Sie hat es ja dann auch wirklich getan. Carolin war eine besitzergreifende Person, die dich zu manipulieren versuchte, wo es nur ging. Sie hat versucht, dir zu suggerieren, es sei deine Berufung, labile Sozialistinnen zu retten. Sie hat dich erst betrogen und dann verlassen, und ich habe das kommen sehen. So eine Frau war sie. Sie hat an irgendeinem diffusen Unwohlsein laboriert, für das sie nur die Welt im Allgemeinen und die Männer im Besonderen verantwortlich machen konnte. Man will solchen Frauen helfen, Thomas, ich weiß das. Man glaubt, man habe das Rezept gegen ihre Verlorenheit, man glaubt, man sei genau der, auf den sie warten. Doch sie wissen selbst nicht, worauf sie warten, Thomas, das ist die Wahrheit, glaub mir. Ich weiß es. Deine Mutter kann das bezeugen.
Wir haben zu wenig Zeit zusammen verbracht, Thomas. Wir haben uns leider nie richtig kennengelernt. Ich bedaure das. Diese ganzen Dinge, die Väter mit ihren Söhnen machen, Fischen in einem Wildbach, Tennis spielen, Steine ins Wasser werfen – all das habe ich nicht gemacht mit dir, und das wirfst du mir vor. Ich weiß das, Thomas. Es tut mir so leid. Aber die Erwartungen, die ich an dich hatte, waren meine Art, dir zu sagen, wie wichtig du für mich bist. Natürlich war ich ein strenger Vater. Habe dich aufs Internat geschickt, durchs Studium getrieben, dir Praktika aufgezwungen. Leider wird Strenge immer mit Herzlosigkeit gleichgesetzt. Weswegen hätte ich meinen einzigen Sohn wohl derartig anspornen sollen, wenn nicht, weil ich ihn glücklich sehen wollte? Das Glück trifft einen nicht wie der sprichwörtliche Blitz, weißt du? Das Glück muss man sich erarbeiten. Man muss dazu angetrieben werden und Opfer bringen, manchmal sogar große Opfer. Ich wehre mich gegen deinen Vorwurf, ich hätte nur aus eigennütziger Sorge um mein Lebenswerk gehandelt. Das ist Unsinn. Wer so denkt, hat nie ein Lebenswerk gehabt. Es versteht sich, dass man seine Firma in kompetente Hände übergeben will. Immerhin ging es für mich darum, ein Erbe von drei Generationen zu bewahren. Und du, Thomas, warst nun mal mein designierter Nachfolger. Ich dachte, wenn ich jemandem vertrauen kann, dann meinem eigenen Fleisch und Blut.
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