Gibraltar
nicht um das Geld geht. Du warst ja nie ein extrovertierter Mensch, eher still und wortkarg, sehr kontrolliert. Ich habe das immer an dir bewundert, weil ich gern deinen kühlen Kopf gehabt hätte, die bedingungslose Liebe zum Geschäft. Deine Furchtlosigkeit, wenn das Risiko kaum zu kalkulieren war. Holt zum Beispiel ist ein guter Mann, er hat genau erkannt, dass man dich machen lassen muss, ich habe ihm das nie groß auseinandersetzen müssen. Ein Vollblut mit ausgeprägtem Freiheitsdrang, wie ein Künstler. Natürlich war das riskant. Aber das lässt sich jetzt leicht sagen. Ich weiß, Feldberg, Sie haben das oft gedacht. Allerdings haben Sie mich selten an Ihren Befürchtungen teilhaben lassen, und daran haben Sie gut getan. Ich hätte eher Sie hinausgeworfen als Bernhard, sosehr ich Sie immer geschätzt habe. Ich habe gewusst, dass man Bernhard nicht kontrollieren kann, und deswegen wollte ich ihn unbedingt halten. Jemand, der auf dem Risiko surft wie auf der Welle eines Tsunamis, den findet man nicht alle Tage. Und der dabei so loyal ist.
Du darfst nicht vergessen: Bernhard war es, der uns vor der Übernahme durch die Österreicher bewahrt hat, Thomas. Ich war dicht davor, Anteile zu verkaufen. Ich habe zwar immer gesagt: Nie im Leben werde ich die Bank verkaufen. Und wenn ich sterbe, bevor sie verkauft werden soll, steige ich persönlich aus dem Grab und werde es verhindern. Andererseits waren wir in Schwierigkeiten, das war nicht zu übersehen. Wir hatten ungeheuer viel Mist in den Büchern, vor allem Aktien von Banken, die große Mengen an Lehman-Papieren hielten. Wir haben im ersten Quartal 130 Millionen abschreiben müssen, und es war klar, dass da noch was nachkommen würde.
Dabei war unsere Investmentsparte immer gut aufgestellt gewesen, weil wir uns zu keinem Zeitpunkt an dem amerikanischen Kasino beteiligt haben. All diese Zertifikate, ob sie nun von Lehman oder der Deutschen Bank kamen, die sie mit wertlosen Hypothekenkrediten abgesichert haben, die habe ich nicht angerührt, aus Prinzip nicht. Wir haben solide gewirtschaftet, mit Anleihen, mit Aktien, mit Währungen, dem traditionellen Geschäft.
Unsere Schwierigkeiten hatten also nicht mit unserer Fahrlässigkeit zu tun. Die HRE , über die wir Hunderte von Krediten abgesichert hatten, hatte große Probleme bekommen, musste sogar mit Steuergeldern gerettet werden. Was heißt gerettet: Sie hätten zwei neue Banken gründen können mit dem Geld, und vermutlich bessere. 140 Milliarden. Mir war zu diesem Zeitpunkt klar, dass wir von der HRE keine Hilfe erwarten konnten, wenn es hart auf hart ging.
Wir mussten etwas tun. Also sahen wir uns nach Möglichkeiten um, an frisches Kapital zu kommen. Feldberg hatte das Treffen mit Schallhammer arrangiert. Ich kann nicht sagen, dass mir der Gedanke gefiel, doch ich war bereit, die Investmentsparte zu verkaufen. Wieder ganz klein anzufangen, wie mein Vater nach dem Krieg. Das Asset-Geschäft auszubauen. Ich war bereit, die Bank gesundzuschrumpfen.
Also flog ich zusammen mit Feldberg, unserem Anwalt Hafer-Lorisch, Lasch und Bernhard nach Wien. Ich weiß noch, am Flughafen sollte uns eine Limousine abholen. Wir landeten pünktlich, aber am Ausgang erwartete uns kein Schild, kein Chauffeur, keine Limousine. Du kennst ja vielleicht den Flughafen in Wien, eine Puppenstube ist das, man kann dort niemanden übersehen, selbst wenn man sich Mühe gibt.
Wir standen da also am Flughafen. Nach einer halben Stunde rief die Sekretärin an, der Wagen stecke wegen des Schnees im Stau, ob es uns möglich sei, anderweitig in die Stadt zu kommen. So fing das an. Ob es uns möglich sei, anderweitig – ein Witz. Wir fuhren mit dem Schnellzug in die Stadt und dann mit der U-Bahn weiter. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal mit der U-Bahn gefahren war. Meinen Begleitern ging es nicht anders. Lasch sah sich um, als sei er auf einen anderen Planeten katapultiert worden. Hafer-Lorisch stand die nackte Panik ins Gesicht geschrieben. Ich selbst hatte das überwältigende Gefühl, geradewegs in mein Verderben zu fahren. Mein Magen schmerzte. Ich kann dir sagen, warum ich mich so gut an diese U-Bahn-Fahrt erinnere: An den Haltestangen waren Schlaufen angebracht, zum Festhalten. Die schaukelten alle im selben Takt, wie kleine Galgenschlingen, die auf Hälse warten.
Natürlich fuhren wir zu weit, mussten wieder zurück und umsteigen und ich weiß nicht, was noch alles. Dann stapften wir durch den Schnee zu unserem
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