Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Leute? Was waren das für irre Paare, die zwei, drei, sogar noch mehr Kinder hinbekamen? Schlossen die sich heimlich im Badezimmer ein, für eine schnelle Nummer unter der Dusche? Hielten sie sich mit Kaffee wach, um irgendwann spät in der Nacht sagenhafte Orgien zu veranstalten? Oder schwänzten sie ihren Job, warteten, bis die Kinder in der Schule waren und trieben es am helllichten Tag?
Nach einer halben Stunde im Badewasser waren Annes Fingerkuppen schrumpelig, und ihrer Seele ging es auch nicht viel besser. Ob heute Abend was laufen würde? Im Bett? Je länger sie darüber nachdachte, desto absurder erschien ihr die ganze Angelegenheit. Es war Krampf. Ein Date im Schlafzimmer. Sex nach Plan. Sah so ein erfülltes Liebesleben aus?
Sie zog ihren Bademantel an und setzte sich deprimiert auf die Couch. Sicherlich, sie hatte einen Mann, ein Kind, ein schönes Zuhause. Dafür war sie auch dankbar. Aber wo blieb sie? Was war mit ihrem eigenen Leben, ihren eigenen Bedürfnissen? Es ging ja nicht nur um Sex. Früher hatte sie gemalt. Blumenaquarelle, nichts Anspruchsvolles, aber es hatte ihr Spaß gemacht. Wo waren überhaupt ihre Malsachen?
Sie stand auf und öffnete die Tür zur Abstellkammer. Hinter einem Berg von Gerümpel aus Schlitten, Wasserkästen und Altpapierstapeln entdeckte sie ihre farbbekleckste Staffelei. Seit Ewigkeiten hatte sie nicht mehr gemalt. Niedergeschlagen schloss sie die Tür. Es hatte keinen Sinn. Sie hatte auf gar nichts Lust. Und wenn sie ehrlich war, nicht mal auf Sex.
Sie zog ein rotes, tief ausgeschnittenes Kleid an, dazu silberfarbene Ballerinas, und legte die Perlenkette an, die Joachim ihr zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Wenigstens wollte sie sich für ihn schönmachen. Sich ein bisschen als Frau fühlen, nicht nur als ein Möbelstück, immer da, immer verfügbar und deshalb gähnend langweilig.
Der Spiegel sagte ihr, dass sie sich die Mühe hätte sparen können. Sie sah blass aus. Müde. Verhärmt. Eben wie eine Frau, die nicht mit sich im Reinen war. Das Leben war so lauwarm wie das Badewasser, aus dem sie gerade gestiegen war. Es rauschte an ihr vorbei, ein Film, in dem sie nur eine Nebenrolle spielte.
Während sie ihr Haar fönte, hörte sie, wie die Haustür aufging. Eine Sekunde später kam Lars ins Badezimmer gelaufen.
»Mami, Mami …« Er stutzte. »Du siehst aber schön aus.«
Hinter ihm tauchte Joachim auf. »Ja, Kumpel, du hast eine wunderschöne Mami.«
Lächelnd zog er Anne an sich und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Sofort heulte Lars auf. »Iiiih! Küssen ist eklig!«
Anne strich ihm durchs unordentliche Blondhaar. Die Haarfarbe hatte er von ihr, dazu Joachims grüne Augen. In seiner Miniaturjeans und dem blauweiß geringelten T-Shirt sah er allerliebst aus. Ein hübscher, aufgeweckter, liebenswerter Junge war er. Und wirkte, nebenbei gesagt, putzmunter. Von wegen, großes Drama – es ging ihm blendend. Das Pflaster auf seiner Stirn schien er ebenso vergessen zu haben wie seine angeblich schlimmen Schmerzen.
Anne dagegen war ziemlich durcheinander. Auch Joachim machte einen verspannten Eindruck. Es war wie verhext. Früherhatte der Sex sie verbunden. Jetzt stand er zwischen ihnen, wie ein Berg aus Fragezeichen: Passiert es endlich heute? Oder kommt wieder was dazwischen? Und wie wird es sich überhaupt anfühlen nach all den langen Monaten?
»Wann bekomme ich eigentlich einen kleinen Bruder?«, fragte Lars in aller Unschuld.
Eine Schrecksekunde lang starrten Anne und Joachim einander an. Schon seit längerem wünschte sich Lars ein Geschwisterchen. Am liebsten einen großen Bruder, der die älteren Jungs aus seiner Kindergartengruppe vertrimmen konnte. Anne hatte ihrem Sohn geduldig erklärt, dass die Natur es so eingerichtet hatte, nur kleine Brüder zu produzieren. Widerwillig hatte Lars es akzeptiert.
»Ein Bruder, naja, vielleicht demnächst«, antwortete Anne vage.
Lars stemmte die kleinen Hände in die Hüften. »Zu Weihnachten?«
»Da ist erst mal eine Playstation fällig«, wehrte Joachim ab. »Dann sehen wir weiter.«
Das Thema Baby schien ihm noch unangenehmer als Anne zu sein. Man sah ihm deutlich an, was er dachte: Erstens musste man sexuell aktiv werden – regelmäßig! ausgiebig! –, um ein Kind in die Welt zu setzen. Zweitens brach bei erfolgreicher Mission die Zeit der schlaflosen Nächte und der müffelnden Windeln an. Für Joachim eine Horrorvorstellung. Er surfte auf einer anderen Rille: Kanzlei, Karriere und ein Kracher
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