Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
werden.«
Alida zog sich mit dem Finger eine verirrte Strähne ihres nassen Haars aus der Stirn. »Mannomann. Und machst du das immer noch?«
»Ich habe schon vor Jahren damit aufgehört.«
»Hast du deshalb je ein schlechtes Gewissen?«
Gideon konnte nicht ganz den Umstand verdrängen, dass er mit einer Nackten redete. Er versuchte, das zu relativieren – schließlich schienen die Leute auf Das Frühstück im Freien ja auch nie groß darüber nachgedacht zu haben. Die Kleider auf dem Wäschegestell fingen bereits an zu dampfen und würden ohnehin bald trocken sein. »Manchmal. Besonders einmal. Ich war übermütig geworden und ging zu einer Fund-Raising-Cocktailparty in einem Kulturverein, den ich bestohlen hatte. Ich meinte, das würde lustig werden. Dabei habe ich den Kurator der Sammlung kennengelernt, und er war ganz erschüttert und verärgert. Nicht nur hatte er bemerkt, dass das kleine Aquarell weg war, sondern es stellte sich auch heraus, dass es sich um sein Lieblingsbild in der ganzen Sammlung handelte. Er konnte über nichts anderes reden, so aufgebracht war er. Er hat es wirklich persönlich genommen.«
»Hast du das Aquarell zurückgegeben?«
»Ich hatte es bereits verkauft. Aber ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, es für ihn wieder zurückzustehlen.«
Alida lachte. »Du bist schrecklich.« Sie umfasste seine Hände, streichelte sie ein bisschen. »Wie hast du das oberste Glied dieses Fingers verloren?«
»Das ist eine Geschichte, die ich niemandem erzählen werde.«
»Ach, komm schon. Mir kannst du es doch sagen.«
»Nein. Wirklich nicht. Das Geheimnis nehme ich mit ins Grab.«
Als er das sagte, fiel Gideon plötzlich ein, dass das Grab für ihn sehr viel näher sein könnte als für die meisten Menschen. Es war eine Tatsache, an die er sich jeden einzelnen Tag erinnerte, fast jede einzelne Stunde, aber diesmal, als er hier in der Höhle saß, traf ihn diese Erinnerung wie ein Tiefschlag.
»Was ist denn?«, fragte Alida, die sofort gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte.
Spontan war ihm klar, dass er es ihr sagen wollte. »Es kann gut sein, dass ich nicht mehr lange auf dieser Welt bin.« Er lachte, doch sein Versuch, die Sache herunterzuspielen, scheiterte kläglich.
Sie schaute ihn an und runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich habe angeblich ein Aneurysma der Vena Galeni.«
»Ein was?«
Gideon blickte ins Feuer. »Das ist ein Gestrüpp von Arterien und Venen im Gehirn, ein großer Knoten von Blutgefäßen, in dem die Arterien sich direkt mit den Venen verbinden, ohne dass sie ein Netz von Kapillaren passieren. Infolgedessen buchtet der hohe arterielle Blutdruck die Vena Galeni aus, bläst sie auf wie einen Ballon. An einem bestimmten Punkt platzt sie – und du bist tot.«
»Nein.«
»Man wird nicht damit geboren, doch nach dem zwanzigsten Lebensjahr kann es wachsen.«
»Was kann man dagegen tun?«
»Nichts. Es ist inoperabel. Es gibt keine Symptome, keine Behandlung. Und in ungefähr einem Jahr, plus/minus, werde ich daran sterben. Ich werde plötzlich sterben, ohne Vorwarnung, aus, Ende, sayonara. « Er verstummte und starrte ins Feuer.
»Das ist jetzt einer deiner Scherze, oder? Sag mir, dass du Witze machst.«
Gideon schwieg weiter.
»O mein Gott«, flüsterte Alida schließlich. »Und man kann wirklich nichts dagegen machen?«
Nach einem Augenblick antwortete Gideon: »Die Sache ist die: Mir wurde das alles von einem Mann in New York erzählt. Der, der mich für den Job eingestellt hat. Er ist … ein Manipulator. Es kann sein, dass er sich das alles ausgedacht hat. Um das herauszufinden, habe ich vor einigen Tagen in Santa Fe eine Computertomographie machen lassen, aber natürlich hatte ich noch nicht die Gelegenheit, mir die Ergebnisse abzuholen.«
»Es schwebt über dir, dieses potenzielle Todesurteil.«
»Mehr oder weniger.«
»Wie schrecklich.«
Anstatt zu antworten, warf Gideon einen Zweig ins Feuer.
»Und du hast das in dir herumgetragen, hast niemandem davon erzählt?«
»Ich habe es ein, zwei anderen erzählt. Aber nicht in allen Einzelheiten, so wie eben.«
Sie hielt noch immer seine Hand. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein muss. Sich zu fragen, ob die eigenen Tage gezählt sind. Oder ob es einfach nur ein grausamer Scherz ist.« Sie hob die andere Hand, streichelte seine Finger, liebkoste die Härchen auf seinem Handgelenk. »Wie furchtbar das sein muss.«
»Ja.« Er sah zu ihr auf. »Aber
Weitere Kostenlose Bücher