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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in einer Hand ein feuchtes Tuch, mit dem er sich den Blutsirup aus dem Gesicht wischte.
    »Irina Duke«, wandte Valerie sich an ihn. »Eine Freundin aus London.«
    Patrick verbeugte sich galant. Insgeheim mußte Valerie sich eingestehen, daß er mit seinen wirr in die Stirn hängenden Haaren noch viel besser aussah als sonst.
    »Wie gefällt Ihnen die Vorstellung?« erkundigte er sich.
    Irina lächelte scheu. »Nun, ich…«
    »Sie möchte gerne nach Hause fahren«, ergänzte Valerie.
    Patrick blickte erstaunt von einer zur anderen. Dann grinste er wieder. »Verständlich, nachdem der Star des Stücks gemeuchelt wurde.« Er warf Valerie einen schelmischen Blick zu, und sie schnitt ihm eine Grimasse. »Erlauben Sie, daß ich Sie begleite?« wandte er sich dann an Irina.
    Er kann’s nicht lassen, dachte Valerie und unterdrückte ein Lächeln.
    Irinas Blick suchte flehend den ihren. Valerie hob spielerisch den Zeigefinger. »Ich muß dich warnen. Sein Charme ist berüchtigt.«
    Patrick vergewisserte sich, daß Irina ihn nicht ansah, dann streckte er Valerie hinter vorgehaltener Hand die Zunge heraus. Sie grinste. »Andererseits ist er ganz unterhaltsam«, sagte sie betont gelangweilt.
    »Lassen Sie sich nicht von ihr beeinflussen. Wie sagte schon mein Großvater -«
    »Oh, ja«, unterbrach Valerie ihn schnell. »Und er kann stundenlang Unsinn reden.«
    Irina lachte. Valerie bemerkte es mit Erleichterung. Die junge Frau war seit dem Abend ihrer Ankunft in Trübsal verfallen. Dabei blieb ihnen doch gar nichts anderes übrig, als sich zu gedulden, bis Aaron freiwillig zu Curtis zurückkam, und die Verfolgung des wahren Mörders der Polizei zu überlassen.
    Ein paar Stunden mit Patrick und seinem fröhlichen Enthusiasmus würden Irina gut tun.
    »Nun?« fragte er und sah die Engländerin an.
    Valerie nickte ihr unmerklich zu. Irina lächelte zustimmend.
    »Wunderbar«, rief Patrick aus.
    »Viel Spaß, euch beiden«, meinte Valerie grinsend, drängte sich an Patrick vorbei und huschte durch die Tür auf den Gang. »Ich fahre gleich nach der Vorstellung zu Curtis nach Hause«, rief sie Irina noch zu, dann lief sie zurück zur Bühne. Sie glaubte noch zu hören, wie Patrick sagte: »Wie wär’s mit einem Abendessen zu zweit?«, dann zwängte sie sich durch die Kulisse, wo die anderen schon auf sie warteten. Sie freute sich für Irina, doch als sich der Vorhang öffnete, fiel es ihr leicht, ihr zufriedenes Lächeln mit der Dämonie der Gräfin Bathory zu überspielen.
     
    Als Valerie später das Theater verließ, zog sie ihr Cape frierend fester um die Schultern. Maurey hatte sie nach dem Ende der Vorstellung noch aufgehalten, um ihr von der Polizeiaktion von vor zwei Tagen zu erzählen. Man hatte auch das Grand Guignol durchsuchen wollen, aber, so berichtete er lachend, er hatte die Uniformierten unter wilden Drohungen davon abhalten können, seine gesamte Requisite auf den Kopf zu stellen. Nach einem Blick in den Zuschauerraum und hinter die Kulissen seien die Beamten murrend wieder abgezogen.
    Die Rue Chaptal, eine kaum sechs Schritte breite Sackgasse, an deren Ende die weiße, vierstöckige Fassade des Theaters hinauf in den Nachthimmel ragte, war menschenleer. Die letzten Kutschen waren gemeinsam mit den wenigen Zuschauern verschwunden, die nach der Vorstellung noch im Foyer beieinandergestanden hatten, und als Valerie durch den Haupteingang hinaus in die eisige Winternacht trat, trafen sie Kälte und Dunkelheit wie ein Hieb.
    An den Hauswänden flackerten in weiten Abständen kleine Gaslampen, deren gläserne Käfige an schwarzen Metallarmen aus den Mauern ragten. Auf ihren Deckeln hatten sich formlose Hauben aus Schnee angesammelt. Ihr Licht zuckte unstet hierhin und dorthin, und Valerie spürte, wie ihr eigener Schatten sich am Boden bewegte, als wolle er sich von ihr lösen und davonschweben.
    Sie erreichte eine Kreuzung, an der die Rue Chaptal in eine nur wenig breitere und ebenso düstere Straße mündete. Nirgendwo war ein Mensch zu sehen, und für einen Moment verfluchte sie die Tatsache, daß Irina nicht bei ihr war. Kleine, nasse Schneeflocken wurden von einem tückischen Wind fast waagerecht durch die Gassen getrieben, und die Spuren der Kutschen im Schlamm begannen sich mit feinen weißen Häuten zu überziehen. Sogar die Feiernden, die sich während der letzten zwei Wochen auf den Straßen herumgetrieben hatten, hatte der Schnee in ihre Häuser getrieben.
    Valerie wandte sich nach links und ging die Straße

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