Gier, Kerstin
hatte ich bisher noch nicht entdeckt. »Und wie kommt man da rein?«
»In den
meisten Zimmern sind die Türen einfach übertapeziert worden, aber es befindet
sich immer noch ein Eingang im Wandschrank deiner Großtante und ein weiterer
hinter dem klobigen Büfett im Esszimmer. Und in der Bibliothek, klassisch
hinter einem Drehregal versteckt. Von der Bibliothek gibt es übrigens auch
eine Verbindung zum Treppenhaus von Mr Bernhards Wohnung und eine weitere
hinauf in den zweiten Stock.«
»Was
erklären würde, warum Mr Bernhard immer einfach so aus dem Nichts auftaucht«,
murmelte ich.
»Das ist
noch nicht alles: Im großen Kaminschacht an der Wand zu Hausnummer 83 gibt es
eine Leiter, auf der man bis aufs Dach klettern kann. Von der Küche aus gelangt
man nicht mehr in den Schacht, da ist der Kamin zugemauert, aber im Wandschrank
am Ende des Flurs im ersten Stock gibt es eine Klappe, groß genug für den
Weihnachtsmann. Oder euren unheimlichen Butler.«
»Oder den
Schornsteinfeger.«
»Und erst
der Keller!« Xemerius tat, als hätte er meinen Einwurf nicht gehört. »Ob eure
Nachbarn wissen, dass es eine Geheimtür zu ihrem Haus gibt? Und dass unter
ihrem Keller noch ein Keller existiert? Man darf allerdings keine Angst vor
Spinnen haben, wenn man dort nach etwas sucht.«
»Dann
suchen wir am besten erst woanders«, sagte ich schnell und vergaß dabei ganz zu
flüstern.
»Wenn wir
wüssten, wonach wir suchen, wäre es natürlich einfacher.« Xemerius kratzte sich
mit einer Hinterpfote am Kinn. »So könnte es im Grunde alles sein: das
ausgestopfte Krokodil in den Abseiten, die Flasche Scotch hinter den Büchern
in der Bibliothek, das Bündel mit Briefen im Geheimfach des Sekretärs deiner
Großtante, die Kiste, die in einem Hohlraum im Mauerwerk steht...«
»Eine
Kiste im Mauerwerk?«, unterbrach ich ihn. Und was waren Abseiten?
Xemerius
nickte. »Oh, ich glaube, du hast deinen Bruder geweckt.«
Ich fuhr
herum. Mein zwölfjähriger Bruder Nick stand in der Tür seines Zimmers und fuhr
sich mit beiden Händen durch die verstrubbelten roten Haare. »Mit wem redest
du, Gwenny?«
»Es ist
mitten in der Nacht«, flüsterte ich. »Geh wieder schlafen, Nick.«
Nick
schaute mich unschlüssig an und ich sah förmlich, wie er von Sekunde zu Sekunde
wacher wurde. »Was ist mit einer Kiste im Mauerwerk?«
»Ich...
wollte danach suchen, aber ich glaube, es ist besser, ich warte damit, bis es
hell ist.«
»Unsinn!«,
sagte Xemerius. »Ich sehe im Dunkeln wie ... sagen wir mal eine Eule. Außerdem
kannst du schlecht das Haus durchsuchen, wenn alle wach sind. Es sei denn, du
willst noch mehr Gesellschaft.«
»Ich habe
eine Taschenlampe«, sagte Nick. »Was ist denn in der Kiste?«
»Ich weiß
es nicht genau.« Ich überlegte kurz. »Möglicherweise etwas von Grandpa.«
»Oh«,
sagte Nick interessiert. »Und wo ist die Kiste in etwa versteckt?«
Ich sah
Xemerius fragend an.
»Ich habe
sie seitlich in dem Geheimgang hinter dem fetten, backenbärtigen Mann auf dem
Pferd gesehen«, sagte Xemerius. »Aber wer versteckt schon Geheimnisse... äh...
Schätze in einer langweiligen Truhe? Das Krokodil finde ich viel
verheißungsvoller. Wer weiß, mit was es ausgestopft ist? Ich bin dafür, dass
wir es aufschlitzen.«
Da das
Krokodil und ich schon einmal Bekanntschaft geschlossen hatten, war ich
dagegen. »Wir schauen zuerst in dieser Kiste nach. Hohlraum klingt schon mal
nicht schlecht.«
»Laaaaangweilig!«,
krakeelte Xemerius. »Wahrscheinlich hat da nur einer deiner Vorfahren den
Pfeifentabak vor seiner Alten versteckt... oder ...« Offensichtlich war ihm
ein Gedanke gekommen, der ihn aufmunterte, denn nun grinste er plötzlich. »...
oder die zerstückelten Einzelteile eines ungezogenen Dienstmädchens!«
»Die Kiste
ist in dem Geheimgang hinter dem Bild von Urururgroßonkel Hugh«, erklärte ich
Nick. »Aber .. .«
»Ich hole
schnell meine Taschenlampe!« Mein Bruder hatte sich schon umgedreht.
Ich
seufzte.
»Was
seufzt du denn schon wieder?« Xemerius verdrehte seine Augen. »Kann doch nicht
schaden, wenn er mitkommt.« Er breitete seine Flügel aus. »Ich drehe mal
schnell meine Runde und schaue, ob der Rest der Familie auch tief und fest
schläft. Wir wollen ja nicht von deiner spitznasigen Tante erwischt werden,
wenn wir die Diamanten finden.«
»Welche
Diamanten?«
»Denk doch
mal positiv!« Xemerius flatterte schon davon. »Was hättest du denn lieber?
Diamanten oder die verwesten Überreste des
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