GIERIGE BESTIE
geführt hatte. Man stattete mich hinsichtlich logistischer Dinge mit nahezu uneingeschränkten Vollmachten aus. Ich erhielt die Kopie des Beschlusses, dass Ello Dox freies Geleit hatte, erhielt einen direkten Ansprechpartner in der Institution und erinnerte mich in der darauf folgenden Nacht, obwohl ich hundemüde war und wieder nicht schlafen konnte, an einen Umstand, den ich in den USA bei der amerikanischen Bundespolizei kennen gelernt hatte.
Anlässlich meiner Ausbildungszeit in der FBI-Akademie von Quantico in Virginia hatte ich während eines Seminars vom Polizeipsychologen Jim Reese, der in der Akademie vortrug, erfahren, dass das FBI davon ausgeht, falls ein Mitarbeiter eine Task Force, also eine temporäre Organisationseinheit, aufgrund eines groß angelegten Falles ein Jahr oder länger in leitender Position führt, für den Rest seines beruflichen Lebens als „ausgebrannt“ gilt. Auch wenn eine Krisenorganisation noch so gut strukturiert und organisiert war – Reese demonstrierte diesen Umstand anhand zahlreicher Beispiele –, musste zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass der verantwortliche Leiter aufgrund der tagtäglichen Anordnungen, der belastenden Situation der Hauptverantwortung, des Druckes der Öffentlichkeit, der immer wiederkehrenden Medienarbeit, der damit verbundenen Gefährdung der eigenen persönlichen Reputation, vor allem aber des komplexen Zusammenspiels zwischen dem zeitlichen Aufwand und den psychologischen Zusammenhängen mit familiären, beruflichen und emotionellen Abhängigkeiten, nach einem Jahr als „burned out“ bezeichnet werden kann. Besonders faszinierten mich damals Jim Reeses Ausführungen über die Zusammenhänge zwischen dem eigenen Narzissmus und den Verlustängsten von Führungspersonen und den geradezu kontraproduktiven Verhaltensweisen, wenn nahe Angehörige in zunehmendem Maße auf diese Umstände aufmerksam machten. In einer klaren und einfachen Sprache erläuterte er, ebenfalls anhand von zahlreichen Beispielen, welch eigene Strategien man geradezu regeltreu, ja zwanghaft einhalten müsste, wenn man selbst einmal in eine derartige Situation geraten würde.
zwanzig
Ein Mensch ist gerne wichtig. Er fühlt sich gut, wenn er eine Aufgabe hat, sie zur Zufriedenheit anderer scheinbar oder tatsächlich gut erledigt, wenn er begehrt ist und wenn er durch diese Tätigkeit Anerkennung erfährt. Je mehr er davon erfährt, desto lieber wird er diese Aufgabe durchführen, setzt sich gerne dafür ein und beginnt, irgendwann einmal nicht mehr auf die Uhr zu blicken. Er wird von seinen Mitarbeitern anerkannt, geschätzt und aufgrund seiner fast permanenten Anwesenheit, des Wissens ob aller Umstände und vor allem wegen seiner zeitlichen Verfügbarkeit bald als der gehandelt, der die richtige Person an der richtigen Stelle ist. Dieser Umstand gereicht ihm abermals zur Ehre und er wird noch mehr zur Verfügung stehen. Zu Hause, in der Familie, in der Partnerschaft, teilt man diesen Umstand, man denkt, „es sei jetzt so“. Zu Hause fühlen sich die Angehörigen noch geehrt, dass der Partner wichtig ist, gebraucht wird, man anerkennt die Aufgabe und die Bedeutung und fördert das Engagement. Eine Zeit lang!
Irgendwann, und es beginnt meist mit einer einfachen Frage des Partners über die „Notwendigkeit“ der vielen Abwesenheiten, ändert sich das. Diese einfache und im Prinzip so harmlose Frage wird stärker oder schwächer, je nach körperlicher Konstitution, Müdigkeit, Ausdauer, Selbstreflexion, als kleines Samenkorn der Kritik verstanden, die im einhüllenden, angenehmen Duft der Anerkennung und der Bedeutung für den Betroffenen geradezu giftig wirkt. Ähnlich einem kleinen Tröpfchen Tinte, das sich in einem langsam bewegenden Wasser zunächst unmerklich, dann aber stalaktitenartig im Anschluss einem Schleier ähnlich, allmählich ausbreitet. Vom Wasser vorerst noch so klar getrennt, bewegen sich die zwei Elemente nebeneinander fast in der gleichen Richtung, bis unmerklich und kaum beobachtbar die Tintenschleier sich langsam auflösen und schließlich das gesamte Wasser durch bläuliche Einfärbung infiltrieren. Das anfängliche Tröpfchen ist verschwunden und niemand kann im Nachhinein sagen, wann was genau passiert ist. Faktum ist nur, es hat sich vieles verändert.
„Du bist anders“ – Wie? – „Ja siehst du das nicht!“
Der kleinen Nachfrage zu Hause folgt in der Regel ein besonders intensiver Arbeitstag, um weitere Fragen im Keime zu ersticken,
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