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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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Hilfe dankte, aber gleichzeitig in sehr sachlicher Art und Weise darlegte, mit welchen Dingen im Reisegepäck er fluchtartig die Institution verlassen hatte – seither jagte eine Krisensitzung die andere. Alle Anwesenden mussten dutzende Erklärungen und beruhigende Worte zu Hause bei ihren Frauen und Partnerinnen abgeben, die Kinder auf das nächste freie Wochenende vertrösten und erschienen immer wieder, alle, ohne Ausnahme, zu den Krisensitzungen. Jeder Einzelne von ihnen leistete Besonderes und stellte wahrscheinlich langsam aber sicher fest, dass der sonst ohnehin schon übervolle Terminkalender gegen das, was sich jetzt abspielte, der reinste Urlaub war. Und in all dieser aufgebauten Stress-Situation goss ich noch fleißig Öl ins Feuer, indem ich mit theatralisch vorgetragenen Erklärungen, grafischen Darstellungen, spitzen Pfeilen und zusammengekniffenen Augen meinen Beitrag dazu leistete, dass all jene, die sich bis jetzt noch als unbeteiligt oder auch als unschuldig bezeichneten, dazu übergingen, entweder ablehnend zu reagieren oder, ihrer eigenen psychosozialen Stress-Stabilität entsprechend, Asche auf ihr Haupt zu streuen und sich ebenfalls als Schuldige vorkamen.
    Dadurch wirkte ich wahrscheinlich noch arroganter, als ohnehin jeder angebliche Experte wirken muss, wenn er auch in noch so sachlicher Art und Weise erklärt, dass ohnehin alles logisch gewesen ist, dass alles ja so hätte passieren müssen und man alles viel früher hätte aufzeigen können. Die fortwährende Stressbelastung, der Umstand des Falles selbst, die Müdigkeit, die dadurch blank liegenden Nerven und die mehr als entbehrliche, mit Sicherheit belehrende und dozierende Art veranlassten El Presidente zu einer Frage, denn er hatte mit Sicherheit aufgrund seines Alters, seiner Erfahrung und der genauen Kenntnis fast aller Persönlichkeiten in diesem Raum sehr genau erkannt, was sich hier jetzt abspielte. „Wie viel Zeit haben wir noch, Herr Doktor Müller?“

achtzehn
    Nicht weil ich merkte, dass ich selbst müde war, weil ich in diesem Augenblick erkannte, dass ein wirklich professionelles Vorgehen eines externen Experten anders ausschauen würde, weil ich sehr, sehr klar zugeben musste, dass ich durch meine Emotionalität Gefahr lief, die Analyse zu gefährden, sondern gerade weil ich diese Umstände erkannte und weil ich aufgrund der objektiven Eingabekriterien davon überzeugt war, antwortete ich: „Genug, El Presidente. Die Zeit ist auf Ihrer Seite. Die Zeit fördert vernünftige Überlegungen. Sie gibt uns die Möglichkeit, Gegenüberprüfungen durchzuführen und sie verändert menschliche und emotionelle Bedürfnisse. Lassen Sie sich Zeit, wir sollten hier, jetzt und heute noch keine Entscheidung treffen. Es gibt mit Sicherheit noch Informationen, die wir auswerten, einander gegenüberstellen, bewerten und im Zusammenspiel mit allen anderen analysieren müssen. Jede einzelne Person in diesem Raum, jede einzelne Information und die interdisziplinäre Betrachtungsweise ist unglaublich wichtig.“ Kurzzeitig war ich geneigt, mich vor allem für meine direkte und sehr offene Art zu entschuldigen, ließ es aber sein, weil ich, der eigenen Fairness entsprechend, hinzufügen müsste, warum ich kurzzeitig sehr emotionell reagiert hatte.
    Vielleicht hatte ich mit zu vielen Menschen gesprochen, die teilweise auch schwerste Fälle von Workplace Violence, Nötigung, Erpressung, ja teilweise Tötungsdelikte begangen hatten. Ich verfügte aber auch aufgrund zahlreicher E-Mails über Kontakte zu Menschen, die, scheinbar gelähmt, einem mit einem starken Strahler angeleuchteten Häschen gleich, apathisch und geradezu schicksalsergeben darauf warteten, was mit ihnen zu geschehen habe. Ich hatte mit Frauen gesprochen, die von ihrem Vorgesetzten gemustert wurden, wie Obst auf dem Marktstand, gierige Augen, die sich langsam die Füße entlang nach oben tasteten und wieder nach unten, die sich aufgrund ihrer Abhängigkeit einfach nicht getrauten, ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen, weil sie die kleinen erbetenen Vorteile wie ein früheres Nachhausegehen, um noch rechtzeitig das Kind vom Kindergarten abholen zu können, nicht gefährden wollten. Ich hatte mit Männern gesprochen, die nach dreißigjähriger Betriebszugehörigkeit als Orbits, als nicht näher bezeichnete „Flugobjekte“ namenloser Elementarteilchen im Weltall gleich, bezeichnet wurden, die sich nicht mehr getrauten, in den Urlaub zu gehen, weil sie nicht wussten, was

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