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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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Weckruf abgestellt hatte, stellte ich einerseits mit einer gewissen Verärgerung, andererseits mit einer Erleichterung fest, dass ich vergessen hatte, die Uhr auf meinem Telefon umzustellen. Durch die Zeitverschiebung bestimmt, musste ich noch gar nicht aufstehen. Ganz im Gegenteil. Ich hatte noch ausreichend Zeit, um mich von diesem Albtraum zu erholen. Gab es denn wirklich einen Zusammenhang zwischen der Schnelllebigkeit der Zeit, den scheinbar so düsteren Zukunftsaussichten, dem Überangebot an negativen Nachrichten und Schlagzeilen und der menschlichen Gier? Ich hatte nicht viele Vermögensdelikte analysiert, denn grundsätzlich griffen die Erkenntnisse der Kriminalpsychologie, also der Verhaltensbeurteilung, nicht bei Vermögensdelikten. Aber die wenigen, die ich gesehen hatte, die Biografien, die ich mir angesehen hatte, die Motive, die ich herausarbeiten konnte, zeigten mir doch sehr deutlich eines:
    Offensichtlich gab es noch etwas Grenzenloseres als das unendliche Weltall – die menschliche Gier. Es ging mir aber weniger um die materielle Gier mancher Menschen. Selbst die Reichsten der Reichen, die ich kennen gelernt hatte, erkannten zwangsweise irgendwann, dass sie die Zweisamkeit nicht erkaufen, ihr persönliches Glück nicht in einer Performance-Kurve darstellen konnten. Diese Fragestellung war für mich irrelevant. Viel mehr interessierte mich die Gier nach Macht und Einfluss. Die Gier nach dem Beherrschen, dem Schlechtmachen und Demütigen, die Gier nach der Perfektion und Kontrolle, die Gier nach Unabhängigkeit, Freiheit, die unwillkürlich irgendwann in Egoismus übergehen muss. Warum war Ello Dox jetzt nicht wie tausende und Millionen andere an seinem Arbeitsplatz und machte das, was man von ihm erwartete? Was hatte er erlebt, gefühlt, getan, dass er alles aufgab, was er besaß und sich auf eine Reise einließ, von der er von vornherein wissen musste, dass es kein Rückfahrtticket gab? Es war nicht mehr so sehr der Auftrag, sondern viel stärker die Persönlichkeit, aber in erster Linie das Wissen, das ich von ihm haben wollte und das diesen Mann so wertvoll machte. Er war für andere vor allem ja deshalb jetzt so unbequem geworden, weil er etwas wusste, von dem die anderen wollten, dass er es nicht wissen sollte. Das Groteske an der Situation war aber, dass man ihm das alles beigebracht hatte. Man hatte ihn angehalten, dafür zu sorgen, dass er sich dieses Wissen aneignen sollte. War er nicht deshalb jetzt so gefährlich geworden, weil er im Prinzip einer von ihnen war? Wenn die Gefahr von außen gekommen wäre, hätten sie sicher mit einer gewissen Nonchalance, einer lockeren Betriebsamkeit über die drohende Gefahr hinweggesehen. Man hätte analysiert, Strategien entwickelt und gegengesteuert. Aber hier ging es um mehr. Es ging nicht nur um die Tatsache, dass er Daten und Informationen mitgenommen hatte. Das war ein technisches Problem, ein juristisches. Aber es war noch etwas anderes. All diese Spitzenkräfte, die ich heute kennen gelernt hatte, waren damit konfrontiert, dass sie selbst Teil der Ursache waren. Sie konnten es vielleicht nicht zugeben, aber mit Sicherheit war das Schmerzlichste, dass sie es nicht erkannt haben.
    „Suche den Feind im Schatten deiner Hütte ...“
    Sie hatten mit unglaublicher Vehemenz und Härte zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihnen derjenige am meisten Schmerzen bereitete, der am engsten an ihnen drangestanden war. Schließlich war er dafür verantwortlich gewesen, die technische Nervenzentrale aufzubauen, die Verbindungsleitungen und die elektronischen Synapsen einzurichten sowie dafür Sorge zu tragen, dass alles sicher ist. Aber jedes Sicherheitssystem ist im Endeffekt so sicher wie derjenige, der den Schlüssel dazu besitzt, und er war derjenige gewesen, der ihn geschmiedet hatte. Und sie hatten die Gefahr nicht erkannt. Aber war es denn überhaupt eine Gefahr gewesen? Hatte er sich nicht hundert-, ja tausendprozentig mit dieser Institution identifiziert? War er nicht Teil davon? War er nicht auf Empfehlung eines ehrwürdigen alten Mitgliedes des weisen Rates hier hereingekommen? Er war, wenn wir so wollen, der Garant dafür gewesen, dass alles seinen ordentlichen Verlauf vernahm.
    Ich musste zugeben, der Mann mit den fettigen Haaren und mit der Goldarmbanduhr hatte mich mit seinen Bemerkungen erstaunt. In der Tat hielt ich seinen Auftritt und sein Verhalten für entbehrlich, aber war Ello Dox in seiner ganzen Intelligenz, seiner Mehrsprachigkeit und in

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