GIERIGE BESTIE
selbst an den verstecktesten Urlaubsorten Telefonkonferenzen möglich sind, das Abrufen von eingescannten Aktenteilen zum Standard gehört, frage ich mich mitunter, wie viele Spitzenrepräsentanten und hochgradig aktive Menschen manchmal am Abend in einer Hotelbar sitzen und sich, vom Alkohol gelöst, mitunter die Frage stellen: „Wie lange mache ich das eigentlich noch und vor allem wozu?“
einundzwanzig
„... für den Rest des beruflichen Lebens ausgebrannt ...“ – und dann in Dunkelheit der leichte Schimmer eines Ausweges.
Kurz soll die Zeit des Arbeitens sein. Kurz, aber intensiv. Vollster Einsatz, persönlich, technisch. Nur wer absolut mitzieht, ist drinnen. Totales „committment“, das ist die Lösung. Mit welchem Betrag ist der Ausstieg möglich?
Was kostet die Welt? Nach mir die Sintflut. 500.000,–. Ha, Pension bezahlt mir dieser Staat ohnehin keine mehr.
Schnell studiert, ein akademischer Titel muss her. Irgendeine Ausbildung, die Geschäftsidee des Lebens, schneller und totaler Einsatz.
Voll ausgepowert und am Abend eine Runde im Fitnesscenter. Der Laden ist teuer, aber gut und ich spare Zeit. Ich leiste mir sonst nichts ...
Trainierst du öfter? Du siehst gut aus. 6 Stunden später.
Guten Morgen. Wie heißt du eigentlich? Nein, Frühstück gibt es keines. Ciao, ich ruf dich wieder an.
Guten Morgen. Sind alle da? Sind die Unterlagen vorbereitet für das Kick-off-Seminar? Wer fehlt?
Die Uhren gehen jetzt anders, meine Herrschaften. Zeit ist Geld. Wir sind hier, um Geld zu machen. Nicht, um uns gegenseitig zu bemitleiden oder zu bedauern.
Was, Sie wollen früher gehen? Besorgen Sie sich ein Kindermädchen oder einen anderen Job. Ein Gespräch wollen Sie führen, ein freundschaftliches Gespräch? Wenn Sie einen Freund haben wollen, kaufen Sie sich einen Hund.
Was ist? Ich sagte doch, ich möchte nicht gestört werden.
Ein dringendes Gespräch, von wem? Kenne ich nicht. Ach was, stellen Sie durch. Wer? Oh ja, ich erinnere mich. Hast du Lust, wieder einmal essen zu gehen?
Was? Schwanger! Konntest du nicht aufpassen? Bist du auch sicher, dass das von mir ist? Sicher nicht. Natürlich mache ich einen Vaterschaftstest. Wenn du möchtest, kann ich etwas organisieren. Wir haben Kontakte.
Schnell die Termine für heute Nachmittag.
Verabschiedung der Pensionisten, soll der Betriebsrat machen.
Jubiläen. Besorgen Sie Blumen für die Damen, eine Flasche Wein für die Herren. Ansprache für die Weihnachtsfeier. Lasse ich mir was einfallen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Mitarbeiter! Es freut mich besonders, dass wir uns heute gemeinsam zu einer besinnlichen Weihnachtsfeier eingefunden haben. Die Mitarbeiter sind die tragenden Säulen in einer Institution und ich wünsche, dass Sie die kommenden Feiertage nützen, um sich wirklich zu erholen ... und ich wünsche Ihnen, und haben Sie bitte Verständnis, dass ich nicht lange bleiben kann. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie wissen, dass ich noch ...
Und bevor Sie sich hier in Emotionalitäten, die vollkommen überflüssig sind, vertiefen, meine gute Mitarbeiterin vom Vorzimmer, buchen Sie mir noch einen Flug nach Hamburg, ich gehe heute Abend ins Konzert.
Irgendwie kam ihm die Rezeptionistin im Hotel, das für ihn in Hamburg ebenfalls gebucht wurde, bekannt vor. Sie erinnerte ihn ein wenig an die Frau, die behauptete, ein Kind von ihm ... ach was, unerheblich, lächerlich. Die Taxifahrerin, die ihn zum Konzertsaal brachte, hatte ebenfalls eine Ähnlichkeit, ebenso die Garderobiere, und obwohl die Frau, die seine Eintrittskarte abriss, viel älter war, erinnerte sie ihn ebenfalls daran.
Er wunderte sich erst gar nicht, dass er ganz alleine im Konzertsaal saß, aber dass auch keine Musiker hier waren? Plötzlich die ersten Töne. Franz Liszt.
zweiundzwanzig
... erschreckt fuhr ich hoch. Das Leintuch klebte an meinem Körper und der erstickte Schrei, der aus meinem Hals fuhr, wurde zunächst im Hintergrund und dann immer lauter durch den Weckruf aus meinem Handy übertönt. Franz Liszt. Es war stockfinster und das kleine luxuriös ausgestattete Apartment, das man mir im Gästetrakt des Firmengeländes zur Verfügung gestellt hatte, wurde nur spärlich durch das Licht einer kleinen Mondsichel erhellt. Ich erkannte das Ende meines Bettes, die riesige Couch, den Einbaukasten und ein wenig mehr spiegelte sich das Mondlicht in den silbernen Fäden des Teppichbodens. Nachdem ich das Handy aufgeklappt und den
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