GIERIGE BESTIE
passieren würde, wenn sie nicht tagtäglich ein-, zwei-, dreimal vorsprechen würden, um ihre Anwesenheit und ihr Interesse noch zu demonstrieren.
Ich sprach mit jungen, dynamischen, gesund wirkenden Menschen, die mir teilweise unter Tränen bestätigten, sie wären bereits innerlich so zerfault und zerfressen, weil sie die demütigende Art nicht mehr ertragen würden, Schachfiguren gleich hin- und hergeschoben zu werden, und immer wieder schwebte über all diesen Menschen das Damoklesschwert der zusätzlichen verbalen zynischen Kommunikation. „Hilfestellung bei der Bewältigung einer neuen Herausforderung“ war der neue Begriff für Entlassung. Aufgrund fehlenden „committments“ wurden vorläufig „rewards“ eingefroren, was in einer allgemein verständlichen Sprache lautete, dass man bereits vereinbarte zusätzliche Bonuszahlungen unter irgendwelchen fadenscheinigen Begründungen plötzlich nicht mehr auszahlen konnte, auf die man aber gesetzt hatte, denn es war teilweise auch finanziell knapp geworden. Was von manchen als „coole“ internationale Sprache angesehen wurde, konnten andere, dieser Sprache nicht mächtig, einfach nur falsch verstehen. Es waren teilweise diese menschenverachtenden zynischen Bemerkungen, wie „Wir sind Ihnen gerne persönlich dabei behilflich, wenn Sie Ihre eigenen Vorgaben nicht mehr erreichen können“. Es waren diese mit Engelszungen ausgesprochenen lautlosen Peitschenhiebe, die einem nachts manchmal den Schlaf raubten, weil nur mehr von PSC-Kennzahlen, Kick-off-Seminaren und Zielvorgaben die Rede war.
Aber offensichtlich war ich diesmal entgegen jeder professionellen Betrachtungsweise, vielleicht aus Müdigkeit, vielleicht weil ich nur teilweise wusste, um was es wirklich ging, meinem Grundsatz der kühlen, emotionslosen analytischen Betrachtungsweise ferngeblieben. Aber mit Sicherheit auch, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch viel zu wenig wusste, über die komplexen Zusammenhänge von Workplace-Violence-Fällen – die Themenstellung per se –, Hintergründe und Auswirkungen, was sicher zu einer gewissen Verunsicherung, damit kausal zu meinen emotionellen Reaktionen geführt hatte. All diese Punkte konnten keinesfalls mein Verhalten entschuldigen. Eine vernünftige psychologische Erklärung, warum ich mich auf die so stolz vorgetragene Art der persönlichen Machtdemonstration des Managers gestürzt hatte, wie ein hungriger Adler auf das zu langsame Murmeltier, im Wissen, dass es vielleicht der letzte Versuch ist, die bereits sehr matt gewordenen Jungen im Horst eventuell doch noch durchzubringen, war mir in diesem Augenblick einfach nicht mehr möglich.
neunzehn
Ich war El Presidente deshalb nicht nur dankbar, sondern auch davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, als er nach einer kurzen Überlegung alle Anwesenden aufforderte, die nächsten 24 Stunden als ihre persönliche Zeit zu betrachten. Er empfahl uns Körperpflege zu betreiben, auszuschlafen, familiäre und persönliche Kontakte zu pflegen und exakt einen Tag später um 07.00 Uhr in der Früh ausgeruht und ohne Anzug und Krawatte wieder zu erscheinen. Für denselben Tag um 18.00 Uhr abends hatte er eine kleine Sondersitzung einberufen, dazu hatte er jeweils den Justiz- und Innenminister, die Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Exekutive und auch des Außenministeriums gebeten. Auch mich ersuchte er, an dieser Sitzung teilzunehmen. Dabei ging es um die weitere strategische Planung und Ausrichtung, unabhängig der noch durchzuführenden Analysen und Einzelgespräche. In Abstimmung mit allen Beteiligten, den politisch und juristisch Verantwortlichen, wurde ich gebeten, Kontakt mit Ello Dox aufzunehmen, zu versuchen, die Daten sicherzustellen oder zu vernichten sowie ihn selbst davon zu überzeugen, sich der Justiz zu stellen. Zu diesem Zweck wurde mir auch angeboten, mich als Mitarbeiter des Innenministeriums angeloben zu lassen, was de jure möglich gewesen wäre, was aber zweifelsohne in Österreich zu einer juristisch einzigartigen Situation geführt hätte, nämlich, dass ich nunmehr innerhalb und außerhalb Europas für zwei unterschiedliche Innenministerien tätig gewesen wäre. Es hätte zweifellos auch zu einem einzigartigen Präzedenzfall geführt. Nach kurzer Beratung der anwesenden Juristen wurde ich dann per Beschluss durch die Justizbehörden in diesem Fall zum Sachverständigen bestellt, was zu einer klar nachvollziehbaren, juristisch sauberen und vor allem eleganten Lösung
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