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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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überzeugt, dass Ello Dox auch diese Entwicklung durchgemacht hatte. Er hatte nicht stillschweigend über Wochen und Monate Dinge zur Kenntnis genommen. Er hatte sich irgendwo geäußert. Irgendwo, wahrscheinlich in diesem riesigen Gebäude, in dem ich zurzeit in einem klimatisierten Raum auf einem riesigen Bett lag, befand sich ein Stück einer Information, die mir erklären konnte, warum er so reagiert hatte, wie er reagiert hatte. Aber wer war bereit, es mir zu geben? Wer dachte in der Zeit der Krise an die Zukunft und nicht an die eigene Vergangenheit? Wer gab schon gerne offen und ehrlich zu, dass er ein Stück Information besessen hat, das gewisse Dinge unter Umständen hätte verhindern können?
    Er war seiner Firma gegenüber loyal gewesen, jahrelang. Also war er es sicher auch seinem Vorgesetzten gegenüber. Ich wusste es nicht mit Bestimmtheit, aber ich nahm es an, dass er dort angelaufen war, wie die verzweifelte Löwenmutter, der die Wilderer das Junge weggenommen hatten und die immer und immer wieder versuchen würde, durch den undurchdringlichen Drahtverhau ins Innere zu kommen, sich dabei selbst in Gefahr begebend, und nach vielen und vielen Versuchen matt, zerschunden und innerlich gebrochen vor der Falle daniederliegt. Jeder Versuch, ihr zu sagen: „lauf weg, lauf weg“, wäre überflüssig.
    Sie würde bleiben, sie würde sich ebenfalls fangen lassen. Sie würde unter dem letzten Aufgebot ihrer Kräfte das Junge verteidigen, zu dem sie keinen Zugang mehr hat. Aber, und das war das Erstaunliche an diesem Beispiel, sie würde sich ihrem Schicksal ergeben, in der Hoffnung, das zu retten, was ihr das Wichtigste war. Die Zuneigung und Loyalität eines anderen auszunützen, um ihn für seine eigenen Bedürfnisse zu missbrauchen, ist ein beliebtes Spiel von strategisch denkenden und malignen Menschen.
    „Du willst dein Land verteidigen? Wir helfen dir dabei, aber du wirst unter Einsatz deines Lebens uns das oder jenes besorgen, das oder jenes tun.“
    „Wir haben dich und dein Kind entführt. Wenn du es wieder sehen willst, musst du alles tun, was wir von dir verlangen.“
    Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Aber es ist ein gefährliches Spiel. Die Taktik kann sich irgendwann ins Gegenteil verkehren, denn wenn das Land verloren, das Kind im Gefängnis verdurstet oder das Löwenjunge im Draht erhängt ist, wird aus der Abhängigkeit die Freiheit und aus der Loyalität blinder Hass.
    Das höchste Gut, das wir haben, ist die Freiheit das zu tun, was wir tun wollen. Aber diese Freiheit hört dann auf eine Freiheit zu sein, wenn wir mit unserer Handlung beginnen würden, die Freiheit eines anderen einzuschränken. Diesen Umstand zu erkennen, ist die moralische Aufgabe und Pflicht eines jeden. Vor allem desjenigen, der die Verantwortung über andere übernimmt. Im Krieg wie im Frieden, im Staat wie in der Familie, in der Freizeit wie auch am Arbeitsplatz.
    Wo um alles in der Welt konnte in diesem riesigen Gebäude das Stückchen Information sein, das ich jetzt brauchte, um verstehen zu können, warum er was wann getan hatte? Wer konnte es haben?
    Der Mann mit den schwarzen Locken? Wohl kaum.
    Der Mann, der sich höflich bedankte und mir damit zum Eindruck verhalf, dass meine Vorstellung beendet war? Auch unwahrscheinlich.
    El Presidente? Er hätte es wahrscheinlich erkannt.
    Der Protokollführer? Nein. Der Sekretär vom Polizeichef? Der Justizminister? Alles unwahrscheinlich.
    Ello Dox ist zu intelligent, als dass er mit blinder Wut auf alles um sich herum einschlägt, was sich bewegt. Er hatte sich mit Sicherheit gezielt jemanden ausgesucht, dem er eine Nachricht zukommen ließ. Er wollte nicht vernichten, er wollte aufzeigen. Das sagte mir allein schon seine Forderung ...
    Seine Forderung? Mon Dieu, ich Esel. Kriminalpsychologisch ist es nicht so interessant, dass jemand etwas fordert. Entscheidend ist, was er fordert, vor allem bei wem, in welcher Form, wann, unter welcher Drohung er welche Konsequenzen in Aussicht stellt. Wie oft er es tut. Aber vor allem, wer der Adressat ist.
    Das Stückchen Information, welches ich noch vor zehn Minuten verzweifelt in diesem Gebäude erhofft hatte zu finden, lag nicht einmal zweieinhalb Meter neben mir. Das Schreiben von Ello Dox an den Leiter der Personalabteilung.
    „Sehr geehrter Herr Golf! Mit tiefem Bedauern muss ich feststellen, dass mich niemand mehr versteht. Ich denke, und davon bin ich überzeugt, dass Sie hier die vorletzte Ausnahme

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