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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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Warum gerade zu diesem Zeitpunkt, an diesem Ort?
    Nun war Ello Dox nicht das Opfer. Er war aus juristischer Sicht der Täter, aber in gewissem Sinne konnte man die Kausalität auch auf den Kopf stellen. Was war passiert, bevor er so handelte? Davon war ich überzeugt: Er hatte nicht wochen- und monatelang vorbereitende Handlungen getroffen und war in unterschiedliche Datenbanksysteme hineingekrochen, im Wissen, dass er sich damit nicht nur strafbar machte, sondern dass er auch das verlor, was sein ein und alles war – die Identität mit dieser Firma. Ich setzte alles auf eine Karte. „Herr Dox, haben Sie jemals mit El Presidente gesprochen?“
    Für einen sehr kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass er wieder unsicher war. Eine Zigarette.
    „Ich hatte es versucht, immer und immer wieder. Ich hatte ihm geschrieben. Ja, ich hatte ihm sogar Pläne und Zeichnungen zukommen lassen, damit er verstand, dass es gewisse Abläufe gab, die in seinem Hause nichts verloren gehabt hätten. Aber was sollte er auch anderes tun? Er hatte sie zur Bearbeitung weitergeleitet und sie waren dort gelandet, wo sie nicht hingehörten. Im Endeffekt mussten jene über das urteilen, was sie selbst zu verantworten hatten. Der Ausgang ist Ihnen wohl klar.“ Seine Stimme, sein Habitus, sein Gang, aber vor allem seine Schulterhaltung hatte sich etwas geändert. Ich wollte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, versuchte gedanklich zu springen, ihn zu beruhigen und gleichzeitig zu reizen. Ich konnte nicht mit ihm verhandeln oder sprechen, wenn er ewig in der Deckung saß.
    „Erzählen Sie mir von Ihrer Frau, Herr Dox.“
    Das war ein Fehler, die Frage kam zu schnell.
    Sein Gesicht lief rot an. Die Kaumuskeln begannen zu spielen und er verwandelte mit einem einzigen Zug zweieinhalb Zentimeter seiner Zigarette in eine glühende Stange.
    Sofort schob ich nach. „Verzeihen Sie, Herr Dox, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich weiß, was passiert ist. Aber ...“
    Ich hatte den zweiten Halbsatz noch nicht einmal begonnen, da wusste ich bereits, dass es der zweite Fehler war. Nur der viele Rauch, den er in seinen Lungen hatte, hinderte ihn daran, sofort loszubrüllen. Er hustete kurz, beugte sich besorgniserregend nah an mich heran und meinte angespannt: „Sie wissen nur das, was man Ihnen erzählt hat. Sie wissen gar nicht, was damals passiert ist. Ich hatte Sie für intelligenter gehalten, als dass Sie den gleichen Fehler machen wie der Vizedirektor, der mir, mit Tränensäcken unter seinen Augen, leidgeprüft dreinschauend mitteilte, er könne nachvollziehen, was mit mir passiert ist. Hören Sie auf mit diesem Psycho-Gefasel, Herr Doktor Müller. Sie können bei mir nichts mehr erreichen, ich werde tun, was ich tun muss und nicht, weil es mir angenehm ist, sondern weil es keine andere Möglichkeit gibt. Und wenn ...“

vierundzwanzig
    So sehr die abendliche Sitzung, die El Presidente abgebrochen hatte, fast in einem Eklat geendet wäre, vielleicht auch, weil jemand meine Charts, die Wellenlinien und aufgespießten Pfeile allzu persönlich genommen hatte, so konstruktiv und fruchtbringend war jene, die für den nächsten Morgen um 07.00 Uhr anberaumt war. Ich hatte mich von meinem Albtraum halbwegs erholt, der mir zugegebenermaßen noch bis in die frühen Morgenstunden, auch nachdem ich den Brief, den Ello Dox an den Personalchef geschrieben hatte, gelesen und analysiert hatte, im Magen, aber viel mehr auf meinem Herzen lag. Vielleicht hatte ich mir dadurch einfach nur die wahrlich apokalyptische Vorstellung von der Seele geträumt, dass jeder halbwegs Erfolgreiche den Arbeitsplatz als seine persönliche Spielwiese betrachtet. Sein ei genes Versuchslabor, wo er seine Emotionen, Gefühle, Ängste, Begierden und Sehnsüchte an jenen Menschen zu befriedigen sucht, die scheinbar oder tatsächlich von ihm abhängig sind.
    Wenn Arroganz, Hochmut und zwischenmenschliche Gleichgültigkeit zum Standardrepertoire auch nur einzelner zukünftiger und gegenwärtiger Manager werden sollen, wenn das tagtägliche Aufschreien bei irgendwelchen Vorstandssitzungen: „Das kann ich auch noch alles erledigen“ zum persönlichen Dogma der neuen Eliteführungskräfte gehören soll und sie sich dieses Verhalten nur deshalb leisten können, im Wissen, dass dutzende Menschen in einer persönlichen Abhängigkeit von ihrem Arbeitsplatz stehen, dann würde ich das erste Mal wirklich an das Schlechte im Menschen glauben. Aber wie sich so viele Entwicklungen im Leben in

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