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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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ein Streicheln verwandeln. Du bist auch so einer, der im Dunkeln immer weiterspielen durfte, dachte Lina, einer, den niemand zum Abendessen reingerufen hat. Schluss jetzt, Johann!
    »Ich bin lange nicht mehr hier gewesen«, sagte er schließlich. »Bruant verstand überhaupt nicht, dass für mich auf einmal Sense war und ich das ganze Gerümpel habe verschwinden lassen, ehe die Bullen auf falsche Gedanken kamen. Ich habe ihm natürlich nicht gesagt, dass Marion von dem Zeug nahm, das wir hier fabrizierten, und was wir sonst noch zusammen getrieben haben, aber ich glaube, er ahnt so etwas. Dass er damals das Haus zerstört und was er heute angerichtet hat, das hat mit Geld und Geschäften nichts zu tun, das tut er, weil er glaubt, dass ich Marion auf dem Gewissen habe. – Lina, glaubst du, ich könnte in Buchfinkenschlag leben, wenn ich hier vor dreißig Jahren jemanden umgebracht hätte?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte sie, »aber du bist ohne Not geblieben und die Wildnis schlägt inzwischen wirklich über dir zusammen. Warum bist du noch hier?«
    »Weil ich immer hier war und weil ich finde, ich habe ein Recht dazu. Irgendwie ist es meins. Buchfinkenschlag und ich, wir sind beide ein bisschen verwildert, aber Rose lässt mich hier wohnen und zahlt für das Nötigste. Ich kenne keinen besseren Platz.« Sie legte die Arme um ihn und er zog sie an sich.
    »Ich bin kein Unkraut, ich bin ein Baum«, sagte er in ihr Haar.
    »Was für eine Sorte Baum bist du denn?«
    »Vielleicht eine Eibe.«
    »Die Eibe ist ein Pfahlwurzler«, murmelte sie und strich ihm über den Hintern, »und in allen Teilen giftig. Nur die Vögel dürfen von ihren Früchten naschen.«
    Er nahm es als Aufforderung, sie auf die Tischkante zu ziehen und ihre Beine zu spreizen.
    »Und du«, flüsterte er ihr ins Ohr, »zu welcher Spezies gehörst du, Linaria, mein scharfes Mauerblümchen?« Er hob sie hoch und sie hielten sich in allerlei erheiternden Stellungen umarmt, bis die Sonne ein gutes Stück weiter gewandert war und das grüne Licht im Gewächshaus einen dunklen ozeanischen Schimmer angenommen hatte.
    »Oh, Mann, Johann!«, sagte Lina. »Wir haben Tante Rose vergessen. Wir sollten doch heute Mittag in Straßburg sein.«
    »Zu spät«, sagte er. »Ich ruf’ sie an. Die läuft uns nicht weg. Wir verschieben es auf morgen.«
    »Das geht nicht«, protestierte Lina. »Ich muss zurückfahren. Ich hab’s meiner Mutter versprochen. Sie schmeißt den Laden ganz allein.«
    »Ach, was«, sagte er, »die kommt schon zurecht. Das ist doch keine große Sache.« Er legte ihr die Hände ums Gesicht. Er sah grau aus.
    »Bleib da, Lina Linaria!«

    Ihre Mutter war außer sich, aber Lina ließ sie nicht zu Wort kommen und wollte auch nichts über den Agapanthus hören, der seine Babys nun allein und ohne die Gärtnerin bekommen musste.
    »Es ist leider furchtbar wichtig, Mama, ich erkläre dir das morgen. Nein, ich hatte keinen Unfall. Nein, ich bin nicht bei Tante Rose. Es geht mir gut, ich bin heil, aber ich kann heute nicht nach Hause kommen. Frag doch Karl, ob er mit dir in Così fan tutte geht. Die Karten liegen hinten im Kalender.«
    »Karl ist gar nicht da. Er ist nach Straßburg gefahren. Ich dachte, ihr trefft euch vielleicht bei Heinrichs Frau.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, ich habe ihm erzählt, was uns dein Giftgärtner alles über diese Madame Bruant verraten hat, und dass sie dich sprechen will, und da hat der Schlauberger sie gleich im Telefonbuch ausfindig gemacht und sich angekündigt und ist schwups hingefahren. Ist das nicht köstlich?!«
    »Ja, sehr«, erwiderte Lina. »Wir reden morgen darüber. Ach, und Mama, die Dichterin von Nummer 4 hat eine Laktose-Unverträglichkeit. Sojamilch steht im Kühlschrank. Und leg ihr doch bitte ein paar von den schwarzen Schokoladentäfelchen aufs Zimmer. Sie hat heute Abend eine Lesung und braucht vorher immer ein bisschen was für ihre Nerven und danach eine Kleinigkeit zur Aufhellung des Gemüts.«

    In der Nacht schlug das Wetter um. Lina hörte den Regen gegen die Scheiben prickeln. Sie öffnete weit die Augen und ließ sie in der Dunkelheit herumwandern, dachte sie sich wie bewegliche Halbkugeln, auf die sich schwarzer Balsam legte, dachte sich durstige, schlürfende Pflanzen, die sich auf- und zufalteten und sie unter schirmartigen Blättern begruben, dachte, dass ihre Espadrilles im Regen verderben würden, dachte, dass sie aus Johann Gerswiller nicht klug wurde. Er hatte ihr seine Wunden

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