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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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gezeigt, er war schamlos und zärtlich, hatte gegeben und genommen, hatte gelogen und geschwiegen und immer war da etwas Unaussprechliches, das sie nicht deuten und nach dem sie nicht fragen konnte. Sie lag in seinem Schoß und unter seinem Arm und fühlte seine Fremdheit.
    Als sie am Abend aus dem Gewächshaus zurückgekommen waren, hatte er Rose angerufen, hatte auf Französisch ins Telefon gesprochen, war in Rede und Gesten, mit Händen, Kopf und Schultern wieder ein anderer geworden. Er hört sich an wie ein Sohn, der seine aufgebrachte Mutter beschwichtigt, dachte Lina. Auch sie musste ihm nun noch eine andere, nämlich die ganze Geschichte erzählen; dass die Aufklärung von Marions Tod nicht nur der letzte Wunsch ihres Onkels war, sondern auch, dass er sein gesamtes Erbe demjenigen versprochen hatte, der herausfand, wer diesen Tod verschuldet hatte.
    »Wie viel?«
    »Dreißigtausend.«
    »Deshalb bist du hier?«
    »Ich bin hier, weil ich Tante Rose gesucht habe und weil sie mich nun zu suchen scheint. Ich bin hier, weil ich mit dir schlafen wollte.«
    Er lächelte sie schief an.
    »Aber es gibt keinen Schuldigen.«
    »Nein, aber es gibt außer mir noch zwei, die in der Vergangenheit herumsuchen und gern die dreißigtausend Euro einsacken würden.«
    »Dein Vetter …«
    »… und Karl. Mein Bruder ist schon unterwegs zu Rose. Johann, hat sie gewusst, dass du mit Marion zusammen warst?«
    »Das haben alle gewusst.«
    »Und von den Drogen?«
    »Herrgott, nein, natürlich nicht!«
    »Und Heinrich, hat er geahnt, was ihr beiden Rauschgoldengel im Gewächshaus alles eingeworfen habt?«
    »Ach was; der hätte ihr ja sogar das Rauchen verboten, wenn er’s gewusst hätte.«
    »Ist das auch wahr?«
    »Es ist so.«
    »Was macht Bruant dann hier? Ist Rose wieder mit ihm zusammen? Wie kommt er dazu, ihr Haus zu verkaufen?«
    »Lina, Lina, Lina, ich weiß es nicht«, und er fuhr sich mit fünf Fingern durchs Haar. Sie saßen am Tisch und rauchten Gerswillers Selbstgedrehte. Die Nacht war hereingebrochen. Es gab nichts mehr zu trinken. Er stand auf und ging hinaus um im Schuppen den Dieselgenerator auszuschalten. Der Motor vertuckerte, langsam erlosch die Lampe, wie im Kino, dachte sie, und der Vorhang schwang zurück vor Stille und Dunkelheit. Wieder hörte sie seinen Schritt nicht, als er hinter ihren Stuhl trat und sie in den Nacken küsste.
    »Johann, ich verstehe eines nicht …«
    »Lina«, sagte er, »Lina, sei still«, und er nahm sie in sein Bett, damit sie aufhörte zu fragen.
    Es gab ihr einen Stich. Sie fühlte sich übergangen.
    »Was ist los?«, flüsterte er an ihrem Ohr, und sie erwiderte: »Nichts.«
    Sie würden zusammen nach Straßburg fahren. Tante Rose hatte ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Und dann? Ein Kuss auf dem Platz hinter dem Haus? Adieu, bis bald? Nie wieder? Es lief nicht gut für Johann Gerswiller. Buchfinkenschlag war ihm nur geliehen. Seine Wurzel sei nicht so leicht auszureißen, hatte er gesagt, aber bestimmt würde er nicht bleiben, auf seinen ausgelöschten Garten blicken und darauf warten, dass man ihn hinauswarf. Ihn und den rosa Bademantel.
    Sie kroch tiefer unter die Decke, weil sein Atem ihr kalt über die Schulter strich und er drückte sie im Halbschlaf an sich. Für einen Moment sah sie ihn im Hotel Augusta, seine Gärtnerhände, seinen braunen Nacken und wusste plötzlich, dass sie ihn dort nicht wollte. Sie wollte dort vor ihm sicher sein. Sie wollte wissen, woran sie war. Lina Linaria Feigling. Sie schloss die Augen und wartete auf den Morgen. Als sich das Fenster grieselgrau gegen die Wand abzuzeichnen begann, glaubte sie, draußen auf dem Kies Schritte zu hören, aber dann brauste der Regen wieder gegen die Scheiben und sie vergaß es.
    Sie tranken ihren Tee im Stehen neben dem Herd, damit sie nicht am Tisch sitzen und durch das Fenster auf die zerwühlte Erde blicken mussten, in deren Furchen sich der Regen sammelte.
    »Ô bruit doux de la pluie«, sagte Johann und spülte seinen Becher aus. Sie sah ihn fragend an.
    »Ein Gedicht – über den Regen und einen Kerl, der sich selbst zuwider ist. Verlaine. Komm, Süße, lass uns fahren.« Er stülpte den Becher auf das Abtropfbrett, steckte seinen Tabak ein und war bereit. Lina knotete die Bänder ihrer Strohschuhe zusammen, hängte sie sich um den Hals und lief barfuß, die Hosenbeine raffend aus der Hintertür zu ihrem Wagen. Johann stieg ein, doch bevor sie den Zündschlüssel herumdrehen konnte, hielt er ihre Hand

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