Giftiges Grün
Kerl von siebzehn. Sie hat mich verrückt gemacht, und glaub mir, deinen Onkel auch. Dabei konnte sie ihn nicht ausstehen. Natürlich gab es dauernd Zoff mit Madame Rose.«
»Das wundert mich. Madame Rose – meine etepetete Tante Rose hatte zugleich mit Heinrich Weil und diesem Scheusal Bruant ein Verhältnis?«
»Wundere dich«, sagte er über ihren Kopf hinweg, »wundern ist immer ein guter Anfang. Sie war nicht nur etepetete. Sie war – sie ist eine großartige Frau. Ohne sie wäre ich untergegangen. Die Ehe mit Bruant war vorbei, aber diese Menage zu dritt hat irgendwie funktioniert. Nur Marion wollte sich nicht damit abfinden und hat dauernd gegen Weil gestänkert.«
»Warum? Was wollte sie denn?«
»Was wolltest du mit fünfzehn?«, fragte er zurück. »Weißt du das noch? Du wolltest das Gegenteil von dem, was deine Eltern wollten, und hättest doch gewaltig Schiss gekriegt, wenn sie dich einfach hätten machen lassen. Wie die müden Kinder, die immer weiter im Dunkeln auf der Straße spielen und hoffen, dass sie endlich zum Abendessen gerufen werden. So war das auch bei ihr. Sie wollte, dass Heinrich Weil verschwindet und ihr Vater auf sie aufpasst. Dass er ein Machtwort spricht: Schluss jetzt! Reinkommen! Dafür hat sie alle vor den Kopf gestoßen. Aber Bruant war hier nur der Hausgast und als Vater eine komplette Niete. Zugleich hatte Marion vor nichts Angst, auch nicht vor den harten Sachen, jedenfalls dachte ich das damals. Sie war begeistert, als sie meine Küche hier entdeckte. Wir haben alles Mögliche ausprobiert; einiges von dem Zeug macht nämlich auch rattenscharf.«
»Dich vielleicht, aber doch keine Fünfzehnjährige!«
Das passte ihm nicht. Er ließ sich gegen die gemauerte Tischkante fallen, wippte zurück, vor und zurück.
»Keine Ahnung«, sagte er schließlich, »aber wir waren wie zwei Angeber. Einer wollte es immer noch ein bisschen toller treiben als der andere. Keiner wollte als Feigling da stehen, verstehst du? Ich war siebzehn.«
»Und jetzt?«
»Jetzt bin ich über fünfzig und ein bisschen schlauer. Für mich gibt’s nur noch Hausmischung.«
»Was ist das? Eine Art Männergold?«
»Nur eine kleine Gemütsaufhellung. Rein pflanzlich. Im Winter, wenn der Garten schläft, können die Abende recht lang werden.«
»Johann, erzähl mir von dem Fest.« Er wippte weiter.
»An dem Abend wollten wir Engelstrompete probieren. Marion war abgehauen und hatte sich im Badehaus versteckt und auf mich gewartet. Ich war vor allen anderen da. Hier im Garten brauch ich keine Lampe. Wir haben uns eins gelacht, als der ganze Haufen nach ihr gefahndet hat. Dann haben wir von dem Sud getrunken.«
Er stand still. Lina spürte, dass er zitterte.
»Es war grauenvoll. Ich hatte wohl eine schwer toxische Blüte erwischt. Wir haben im Badehaus gevögelt, und dann setzte die Wirkung ein. Ein Horrortrip. Ich bekam Herzrasen, Panik und furchtbare Schmerzen; ich sah, wie sich meine Arme und Beine auf einmal in blutige Stümpfe verwandelten. Es war nicht irgend so ein halluzinogener Hirnschwurbel, es fühlte sich absolut real an. Es sah real aus. Ich wollte aus dem Haus raus, aber es ging nicht, es war, als hätte ich mir selber die Beine abgehackt.
Marion war den anderen Weg gegangen. Sie schrie vor Lachen, sie glühte und sprang und tanzte wie besessen. Sie rannte aus der Tür und ich habe sie lebendig nicht wieder gesehen. Es ging mir furchtbar dreckig; ich lag da und hatte Todesangst. Die ganze Nacht lang. Wie hätte ich ihr helfen können? Ich konnt’ es nicht. Am frühen Morgen bin ich zum Schwimmbecken gekrochen und hab mich ins kalte Wasser fallen lassen. Da hatte ich sie plötzlich vor mir. – Lina, manchmal fühlt es sich an, als wäre ich immer noch auf diesem Horrortrip.« Sie hielt seine Hände fest.
»Bei manchen wirkt das Zeug so, dass sie sich selbst furchtbare Verletzungen zufügen, und andere meinen zu verbrennen. Sie hat gebrannt. Ich glaube, sie hat sich das Kleid vom Leib gerissen und ist ins Wasser gesprungen. Sie konnte ja gar nicht schwimmen, aber selbst wenn sie es gekonnt hätte, weiß ich nicht, ob sie es überlebt hätte. Die Polizei hat nichts rausgefunden. Sie haben ihr Blut nur auf Alkohol getestet. Wer denkt denn hier auf dem Land und bei so einem respektablen Haus an Engelstrompetensud.«
Er hatte Schatten um Mund und Schläfen. Sie legte ihm die Hand auf die Wange. Er hielt sie fest und führte sie über sein Gesicht, als wolle er einen Schlag abwenden und in
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