Giftkuss
Familien doch gut gebrauchen.«
»Das ist nett, dass du das sagst.«
»Weißt du, wo Sabrina jetzt wohnt?«
»Nein, leider nicht. Als ich wegen dieser Sache meinen Job verloren habe, kam sie mich noch mal besuchen. Sie saß auf demselben Platz wie du jetzt.«
»Was wollte sie?«
»Mir sagen, dass ich nicht schuld war.« Er griff nach seinem Glas und leerte es vollständig. »Sie war sehr intelligent, hatte in der Schule nur gute Noten. Sie wollte Polizistin werden.«
»Und? Hat sie es geschafft?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Eine Weile habe ich ihr Schicksal noch verfolgt. Nicht aus schlechtem Gewissen, sondern weil sie ein tolles Mädchen war, faszinierend. Irgendwann ist sie umgezogen und blieb ab da unauffindbar.«
»Ihr Vater ist der Stiefvater meiner besten Freundin und die ist jetzt ermordet worden. Ist das Zufall?«
»Was meinst du?«
Cleo zögerte, ihren Gedanken auszusprechen, weil sie seine Zuneigung zu Sabrina deutlich spürte.
»Ich frage mich, ob Sabrina vielleicht aus Neid oder Wut… ob sie… Immerhin war Anja ihre Stiefschwester, reich, behütet, in einem riesigen Haus aufgewachsen, ohne Sorgen, zusammen mit einer Mutter und einem Vater - ihrem Vater…«
»Ob Sabrina jemanden getötet haben könnte?«, fragte Herr Mortzfeld.
Cleo nickte.
»Niemals.«
24. Kapitel
Katharina ging sofort ans Werk, holte die Kiste mit den gesammelten Schulbriefchen aus der Kommode im Flur, einen Packen Schmierpapier, mehrere Stifte und die Nachttischlampe. Sie spendete das hellste Licht und das würde sie brauchen.
Als alles sorgfältig sortiert auf dem Küchentisch lag, fing sie an, Anjas Schrift zu studieren. Die war tatsächlich unauffällig. Das n sah aus wie ein u, das große M hatte oben nur einen Strich und kein drittes Bein in der Mitte, die kleinen Buchstaben f, b, l und h schienen sich in die Höhe zu recken. Katharina wusste, dass es Experten für Schriftdeutung gab, die von der Schrift eines Menschen auf dessen Charakter schließen konnten. Sie war sich sicher, dass sie in Anjas Schrift ein intelligentes und ausgeglichenes Mädchen erkennen würden.
Immer wieder schrieb sie nur einen Satz: Wann treffen wir uns heute und wo? Muss dir was über Ben erzählen, das ist ein totaler Idiot.
Nachdem sie diesen Satz mindestens zwanzig Mal geschrieben hatte und meinte, dem Original zumindest sehr nahe zu sein, nahm sie sich einen neuen vor: Du bist für immer meine beste Freundin, du musst nicht eifersüchtig sein.
Das war eines von ihren Lieblingsthemen gewesen. Cleo war häufig eifersüchtig. Dabei war Anja eine so treue Freundin gewesen. Sie hatte Katharina erzählt, dass Cleo für sie der wichtigste Mensch war – für immer. Das wiederum hatte Katharina eifersüchtig gemacht…
Da haben Cleo und ich ja was gemeinsam!
Nachdem sie den Satz oft genug geübt hatte, fühlte sie sich bereit. Sie schlug das Tagebuch auf der ersten Seite auf und fing an.
Donnerstag, den 21.06.2011
Heute schreibe ich seit Langem mal wieder Tagebuch.
Das sah gut aus, fand Katharina, vielleicht konnten die langen Striche der kleinen Buchstaben noch etwas länger sein, ansonsten sah ihr Text der Originalschrift verblüffend ähnlich.
Ich habe etwas Schreckliches erfahren und kein Mensch hört mir zu.
Kurz zögerte sie mit dem nächsten Satz, entschied sich dann aber dafür.
Cleo hat mich gestern weggeschickt, als ich es ihr erzählen wollte, und Katharina erreiche ich nicht, sie ist ja dauernd arbeiten. Deshalb habe ich mir jetzt ein neues Tagebuch gekauft und schreibe es auf, irgendwem muss ich es ja erzählen.
Katharina schüttelte ihre rechte Hand aus. Es war anstrengend, in einer fremden Schrift zu schreiben. Aber sie war zufrieden, vor allem über den Einschub ihres Namens, als ob Anja jemals etwas so Wichtiges mit ihr geteilt hätte. Aber Cleo sollte das ruhig denken…
Ich habe auf dem Dachboden eine Blechdose gefunden. Sie stammt von meinem Stiefvater. Darin waren alle möglichen Dinge, unter anderem ein Foto und ein Zeitungsartikel. Auf dem Foto war er mit einer anderen Familie zu sehen und in dem Zeitungsartikel ging es um Kinder, die angeblich völlig verwahrlost waren.
Ich hab ihm die Kiste gezeigt und da ist er wütend geworden. Er hat sie mir aus den Händen gerissen und gemeint, dass mich das nichts angehe.
Katharina musste aufpassen. Wenn sie zu schnell schrieb, lief sie Gefahr, in ihre eigene Schrift zu verfallen.
Ihr Telefon klingelte und sie nahm ab. »Ja?«
»Hi, ich
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