Giftkuss
Problem auf der Stirn geschrieben.
»Doch«, hörte sie sich sagen und trat zwischen den beiden ins Haus.
Okay, es sollte so sein! Sie machte sich auf den Weg nach oben. In der dritten Etage stand Mortzfelds Name auf dem Klingelschild. Sie horchte an der Tür, doch es war nichts zu hören. Ein wenig hoffte sie, dass er nicht da sein würde, als sie auf die Klingel drückte.
Hundegebell ertönte und Schritte waren zu hören. Ein kleiner, rundlicher Mann mit blondem Stoppelhaar öffnete die Tür und blickte sie erwartungsvoll an. »Hallo?« Seine Stimme passte zu seiner Größe, beides gab ihm was Zwergenhaftes. Zwischen seinen Füßen stritten sich zwei Wollknäuel um den besten Platz, wahrscheinlich Chihuahuas.
»Hallo, ich… Ich bin Cleo Fürbringer und wollte Sie was fragen.«
»Ich kaufe nichts, ich verschenke nichts und an Umfragen nehme ich auch nicht teil«, sagte der Mann nicht unfreundlich, aber bestimmt und wollte die Tür wieder schließen.
»Nein!«, rief Cleo so laut, dass ihre Stimme durch das ganze Treppenhaus schallte. Sie hob ihre Hand, als hielte sie ein Stoppschild hoch. »Ich komme aus einem persönlichen Grund, es ist mir aber etwas unangenehm.«
»So?«, fragte der Zwerg, zog seine Augenbrauen so eng zusammen, dass sich zwei Falten bildeten, und musterte sie aufmerksam. »Worum geht es denn?«
»Ich bin eine Freundin von Anja Diekamp und ich…«
Schlagartig hob der Mann den Kopf, seine Augen weiteten sich. Er kannte diesen Namen, eindeutig.
»Ja, und?«
»Aber ich komme gar nicht wegen Anja, doch schon, weil… sie war ja meine beste Freundin und jetzt ist sie tot, haben Sie davon gehört?«
Sie hätte sich besser vorbereiten müssen!
Der Mann nickte. »Komm erst mal rein, du bist ja ganz aufgeregt. Und sag Du zu mir, sonst komme ich mir steinalt vor.«
Cleo war überrascht und trat zögernd ein, immer auf den Boden blickend, um auf keinen der Hunde zu treten. Herr Mortzfeld führte sie durch einen langen Flur ins letzte Zimmer. Dort klatschte er in die Hände und rief: »Husch, husch.« Sofort verzogen die zwei Hunde sich in einen großen Korb unter der Heizung.
»Setz dich. Magst du was trinken?«
Cleo schüttelte den Kopf, sie war zu aufgeregt, und setzte sich auf ein blaues Sofa. Er nahm ihr gegenüber auf einem kleinen Hocker Platz.
»Du bist nicht die Erste heute.«
»Echt?«
»Die Polizei war auch schon hier. Wer hätte gedacht, dass ich noch mal so wichtig werden würde.« Er lächelte, merkte dann aber, dass dieser kleine Scherz fehl am Platz war, und entschuldigte sich sofort. »Du bist… warst also die beste Freundin von Anja?«
»Kannten Sie sie?«
»Nein, aber ich weiß Bescheid.«
Cleo kämpfte mit den Tränen und um nicht weinen zu müssen, redete sie sich einfach blitzschnell alles von der Seele: »Wissen Sie, Anja ist am Freitagabend umgebracht worden, und ich war mir so sicher, dass es der Stiefvater gewesen ist, Günther Diekamp, aber er hat ein Alibi.«
Sie redete viel zu hastig und wirr durcheinander. Dabei hatte sie gar keinen Grund, aufgeregt zu sein. Herr Mortzfeld war offenbar nett, sehr sogar. Er saß ihr gegenüber und nickte aufmunternd. Sie holte Luft.
»Und als ich rausbekommen habe, dass der Stiefvater von Anja schon mal eine Familie hatte, wo es auch eine Tote…«, sie holte wieder Luft, » … und ein schreckliches Familiendrama gab, da bin ich auf Ihren Namen gestoßen.«
»Deinen Namen, Kindchen, deinen. Bitte siez mich nicht, das finde ich schrecklich.«
Einer der Hunde sprang mit einem Satz auf seinen Schoß. Wie automatisch begann er, dessen Ohren zu kraulen.
»Und da dachtest du dir, schau ich mir den doch mal an, richtig?«
»So ungefähr.« Cleo war erleichtert. Er hatte sie nicht rausgeschmissen, nicht angepöbelt, ganz im Gegenteil, sie hatte fast das Gefühl, willkommen zu sein.
»Anja war mir sehr wichtig«, fuhr Cleo fort, »und deshalb klammere ich mich an jeden Strohhalm.«
»Also gut. Jetzt hol ich uns eine Limo und dann erzähle ich die ganze Geschichte noch einmal. Wenn’s hilft.«
Nach etwa zwei Minuten kam er zurück mit zwei knallbunten Gläsern, gefüllt mit Zitronenlimonade. »Die Familie Meinhard hat mich meinen Job gekostet, ja, das ist wahr, und ich sage dir eins: Ich war nicht mal traurig darum. Sechs Jahre habe ich im Jugendamt gearbeitet und gelitten. All diese Schicksale… Sie haben mich verfolgt. Dauernd musste ich an die Kinder denken. Sie wurden in ihren Familien missachtet, geprügelt und
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