Giftkuss
Katharina gerade recht, es benebelte die noch immer leise surrenden Insekten.
»Hey, Mann«, sagte der Schlaksige. »Das mit der Entschuldigung hat geklappt.«
»Was’n?«
»Ich brauchte doch eine für Montag, wo wir Laurins Geburtstag gefeiert haben.«
»Hmmm.« Der Pickeljunge schien nicht sonderlich interessiert an der Unterhaltung.
»Hab die Schrift von meiner Mutter nachgemacht und die Schmidt hat’s geschluckt.«
»Cool.«
Die Worte des Schülers hallten in Katharinas Gedanken nach. »Hab die Schrift von meiner Mutter nachgemacht und die Schmidt hat’s geschluckt.« Natürlich! Was für eine geniale Idee. Katharina gaffte den Jungen an, als wäre er ein Engel oder von einer anderen, höheren Macht geschickt worden.
Ich fälsche Anjas Tagebuch!
Sie eilte zurück zum Toto-Lotto-Laden.
Ich studiere einfach ihre Schrift an den Schulbriefchen, die ich ihr immer mal geklaut habe. Und ich übe die ganze Nacht. So schwer kann das nicht sein. Anjas Schrift ist nicht auffällig.
Die Besitzerin des Ladens war gerade damit beschäftigt, die Außenständer reinzuholen, in ein paar Minuten machte sie zu. Völlig außer Atem fragte Katharina: »Kann ich noch was kaufen?«
»Natürlich, kommen Sie rein.«
Was hatte Cleo neulich noch mal gesagt? Anja hatte ihr Tagebuch in der Hand, an diesem Mittwoch, als Cleo ihr nicht zugehört hatte. Es war einfarbig. Grün oder blau. Ja, das hatte sie gesagt. Sie kaufte ein mit blauem Stoff bezogenes Buch. Es hätte Anja sicher gefallen.
Von einem neuen Hochgefühl erfüllt, machte sie sich auf den Heimweg.
23. Kapitel
Im Zug schaute Cleo auf ihr Handy. Sie hatte zwölf Anrufe und fünf SMS! Drei Nachrichten waren von ihrer Mutter. Reflexartig drückte sie sie weg und checkte weiter die Liste. Doch dann besann sie sich auf das schlechte Gewissen, das sie bekommen hatte, als Katharina so liebevoll mit ihrer Mutter telefoniert hatte, und las sie doch. In der letzten Nachricht schrieb ihre Mutter: »Hey Cleo, ich mach mir Sorgen. Anjas Mutter hat gefragt, ob du sie heute Abend besuchen magst. Soll ich mitkommen? Ma.«
Cleo drückte auf Antworten und schrieb: »Ja, komm mit. Ist dann leichter. Bin in zwei Stunden zu Hause.«
Eine seltene Sehnsucht ergriff sie, ein altes, schon lange nicht mehr empfundenes Gefühl. Cleo überlegte, ob sie dem nachgeben sollte. Schließlich tat sie es und schrieb: »Hab dich lieb. C.« Wann hatte sie ihrer Mutter das zum letzten Mal geschrieben? Es fühlte sich auf jeden Fall richtig an.
Miri hatte geschrieben: »Was war auf der Polizei, melde dich mal, Miri.«
Eine SMS war von einem Absender mit unbekannter Nummer: »Sehr geehrte Frau Fürbringer, wir möchten ein Interview mit Ihnen machen, wann hätten Sie mal Zeit? Kris Hartmann vom Gießener Abendkurier.«
Idiot! Und wenn die Pressefuzzis auf Knien vor ihr herrutschten, niemand bekäme ein Interview von ihr!
Als der Zug in Gießen hielt, wusste Cleo nicht mehr, ob das mit dem Besuch bei Tibor Mortzfeld wirklich so eine gute Idee war. Was wollte sie eigentlich von dem Typ? Anjas Stiefvater hatte schon mal eine Familie gehabt und die hatte in riesigen Schwierigkeiten gesteckt. Mortzfeld hatte das nicht erkannt und deshalb seine Stelle verloren. Vor fünf Jahren. Wahrscheinlich hatte Katharina recht: Was hatte das alles mit Anjas Tod zu tun? Trotzdem stieg Cleo in den Bus ein.
Was war eigentlich mit Ben? Den hatte Anja neulich heftig abblitzen lassen und mit ihm war nicht zu spaßen! Plötzlich war ihre Fantasie nicht mehr zu bremsen. Cleo stellte sich vor, wie Ben Anja umgebracht haben könnte und wie er sie dann ins Grab gelegt hatte. Abartige Bilder schossen ihr durch den Kopf und sie konnte sie nur stoppen, indem sie sich kräftig das Gesicht mit den Händen rieb. Nein, das war absurd. Ben war eine Niete und könnte niemanden umbringen, selbst wenn er wollte. Mittlerweile war sie in der Weststadt.
Ich bin es Anja schuldig, Fragen zu stellen, verdammt!
Kurz vor der Haltestelle Hardtallee drückte sie auf den Halteknopf und stieg aus. Drei Minuten später stand sie vor Mortzfelds Haus. Den Namen entdeckte sie sofort in der dritten Reihe von unten. Sie schwitzte und hatte Durst. Was sollte sie sagen, wie anfangen? Erst jetzt registrierte sie, dass sie sich darüber gar keine Gedanken gemacht hatte.
Die Tür öffnete sich. Zwei Männer traten heraus und hielten ihr die Tür auf. Cleo zögerte und der eine fragte augenzwinkernd: »Traust du dich nicht?« Als stünde ihr Ich habe ein
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