Giftpilz
oder nit, des isch hier die Frage«, dröhnte der Bettnachbar.
»Bei mir habet sie zum Glück nur d’ Herzkranzgefäße g’weitet. Und wisset Sie …«
Panisch überlegte Hubertus, wie er sich aus dieser Situation
befreien konnte.
»Falls die Ihne übrigens e Kur verschreibet: Passet Sie bloß uf.
Ohnehin kann mer selle Weißkittel nit traue …«
Das war wohl das Stichwort. In diesem Moment öffnete sich die Tür,
und ein halbes Dutzend weiß gekleideter Personen betrat das Patientenzimmer.
»Hier geht’s ja zu wie auf einem Basar. Darf ich die Herrschaften
mal kurz nach draußen bitten? Wir machen jetzt Visite«, sagte ein untersetzter
Mann mit akkuratem Seitenscheitel und umgehängtem Stethoskop. Von Statur und
Erscheinung her ein Napoleon-Typ, klein und forsch. Seine rechte Hand hatte er
allerdings nicht im Schlitz des Kittels, sondern lässig in der Seitentasche
verstaut.
Hatte man als Privatpatient nicht auch den Anspruch, als Erster dran
zu sein? Offenbar nicht, denn die Herren wandten sich dem nervigen Bettnachbarn
zu. Sie tauschten sich in einer von Fachbegriffen gespickten Sprache aus, da
war von »pektanginösen Beschwerden« die Rede und von einer »Claudicatio
intermittens«, was, wie Hummel wusste, der lateinische Name für die sogenannte
Schaufensterkrankheit war. Offenbar hatten entweder die Diagnose oder das Arztgeschwader
den Bettnachbarn eingeschüchtert. Jedenfalls war endlich das eingetreten, was
Hubertus die ganze Zeit gehofft hatte: Er hielt den Mund!
Als der Chefarzt sich ihm zuwandte, kam sich Hummel vor wie ein
Angeklagter, der auf sein Urteil wartete. Bitte nicht die Todesstrafe …
Dann beugte der Napoleon-Verschnitt den Kopf nach vorne, sodass er
über die Gläser der Lesebrille hinweg Hubertus mustern konnte.
»Es tut uns sehr leid, Herr …?«
»Hummel«, half der Stationsarzt aus.
Hubertus spürte einen dicken Kloß im Hals.
»Herr Hummel, ich bin Professor Brückner. Ich bedaure es sehr, dass Sie
als Privatpatient mit einem Dreibettzimmer vorliebnehmen müssen. Aber wir sind
momentan hoffnungslos überfüllt. Der gute Ruf der Klinik, Sie verstehen …« Der
Chefarzt tätschelte ihm die Hand.
Hummel atmete erst mal erleichtert auf. Doch kein Todesurteil?
Freispruch gar?
»Wir werden Sie noch ein paar Tage bei uns behalten. Sie werden
natürlich so bald wie möglich in ein Einzelzimmer verlegt. Wenn es geht, noch
heute.«
Einige Tage hierbehalten? Verlegen? Hatten die Größeres mit ihm vor?
»Was hab ich denn nun?«, erkundigte er sich.
Wieder hatte der Stationsarzt seinen Einsatz. Keine Urteilsverkündung,
sondern eher eine Grabrede. Und zwar eine, die weniger für ihn als für die
anderen Ärzte bestimmt war. Es wurde nicht mit ihm, sondern über ihn
gesprochen.
»Der siebenundvierzigjährige Patient wurde gestern notfallmäßig
eingeliefert. Er hatte im Garten eine Synkope erlitten. Als Ursache gehen wir
von einer instabilen Angina pectoris aus. Als Folge der Synkope erlitt er eine
Commotio cerebri. Beim Eintreffen des Notarztes waren bereits insuffiziente
Reanimationsbemühungen durchgeführt worden. Im Notarztwagen kam es zu einer
selbstlimitierenden supraventrikulären Tachykardie, welche auf Metoprolol
prompt in einen Sinusrhythmus konvertierte. Es ist von einem metabolischen
Syndrom mit den kardiovaskulären Risikofaktoren einer Hypercholesterinämie,
eines latenten arteriellen Hypertonus und einer Adipositas Grad II auszugehen.
Im Labor fiel eine erhöhte Gamma-GT von 107 auf. Für heute Mittag ist eine Koronarangiografie
geplant.«
»Jesses nei!«, entfuhr es Hummel. »Könnten Sie mir das bitte in
meiner Sprache erklären?«
Angina pectoris, das hatte er verstanden. Immerhin. Daher die
Schmerzen in der Brust. Und Commotio cerebri war eine Gehirnerschütterung! Dem
Latinum sei Dank.
»Ah, Sie sind Lehrer?«, bemerkte Professor Brückner, der offenbar
nicht auf Zwischenfragen eingestellt war. »Habe ich mir gedacht.«
»Der Troponinwert ist zwar laut Labor negativ«, fuhr der
Stationsarzt unbeirrt mit seinem Vortrag fort. »Aber das EKG deutet darauf hin,
dass eine gestörte Durchblutung der Herzkranzgefäße vorliegt.«
»Also, heute Nachmittag werden wir eine Angiografie bei Ihnen
vornehmen. Der Stationsarzt wird Sie dann über alles Weitere aufklären«, sagte
Professor Brückner und tätschelte ihm nochmals flüchtig den Arm. »Keine Sorge,
Ihnen steht ja eine Chefarztbehandlung zu. Da kann nichts passieren. In der
Zwischenzeit werden wir noch
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