Giftpilz
die Patientenfürsprecherin vorbeischicken. Die
wird Sie über alle Annehmlichkeiten unseres Hauses aufklären: Bademantel,
Minibar, Kuchenservice.«
3. KATHETER
Immer wieder starrte Hummel auf das gewaltige Röntgengerät,
das wie ein Damoklesschwert drohend über ihm hing. Und dann diese schrecklichen
Geräusche: das Ratschen, wenn der OP-Pfleger die sterilen Handschuhe abstreifte
und neue aufzog. Und das ständige Piepsen des EKG-Geräts. Immerhin konnte er so
wenigstens selbst kontrollieren, ob er noch am Leben war.
»Achtung, jetzt kribbelt’s«, warnte der Pfleger und rieb ihn
großflächig mit Desinfektionsmittel ein.
Ein zweiter Pfleger kam hinzu. Gemeinsam bedeckten sie den
vollständig entkleideten Hummel von Brust bis Oberschenkel mit dem sterilen OP-Tuch.
»Alles klar?«, fragte der eine.
Hummel blinzelte verkniffen und deutete ein Nicken an. Zum Glück
waren die beiden keine ehemaligen Schüler von ihm …
Die Pritsche war hart. Er fühlte sich wie kurz vor der Schlachtung.
Gleich würde es Schinkenspeck geben. Es fehlte nur noch die Betäubungspistole.
Hubertus musste mit ansehen, wie einer der Pfleger das sterile OP-Werkzeug
auf den Rolltisch legte. In Plastik verpackte Drähte, mit denen der Arzt gleich
in seinen Körper eindringen wollte. Wäre es doch schon vorbei!
Doch der Chefarzt ließ auf sich warten. Stattdessen führten die
Pfleger Männergespräche, während sie weitere Vorbereitungen für den Eingriff
trafen.
»Hab gestern die kleine blonde Schwesternschülerin von der
Geburtsstation angebaggert. Du weißt schon. Die mit den Sommersprossen und dem
Piercing.«
»Eine echte Granate. Und, wie ist’s gelaufen?«
»Spitzenmäßig, sage ich dir.«
Hubertus schaute ungeduldig auf die Uhr über dem großen Monitor. Sie
hätte gut in einen alten Hauptbahnhof gepasst. Nur Zeiger für Stunden und
Minuten, nicht für die Sekunden. Dadurch hatte man das Gefühl, dass die Zeit
noch langsamer verrann. Und der Minutenzeiger wollte einfach nicht umspringen.
Gut eine halbe Stunde lag Hubertus auf der Pritsche und wartete auf
den Arzt. Und mit jeder weiteren Minute, die der lahme Zeiger umsprang, wurde
er unruhiger. Er unterdrückte den Drang, vom OP-Tisch zu springen und durch die
Flure in Richtung Ausgang zu rennen.
Kurz bevor die OP-Pfleger fast alle Schwesternschülerinnen und ihr
»Anbaggerpotenzial« durchdekliniert hatten, tauchte endlich Professor Brückner
mit einem Kollegen auf.
»Das ist Oberarzt Doktor Bünzli. Herr …?«
Diesmal genügte ein Blick auf den Monitor, auf dem bereits der
Schriftzug »Untersuchung H. Hummel« inklusive Datum und Uhrzeit aufleuchtete.
»Genau, Herr Hummel: Wir machen diese Untersuchung im Dreamteam. Sie
dreamen, wir teamen.«
Der Chefarzt grinste Bünzli an, der etwas nervös zu sein schien.
Was heißt eigentlich Witzbold auf Englisch?, fragte sich Hummel.
»Grüezi wohl«, begrüßte ihn der Oberarzt in mittelstarkem Schweizer
Akzent. Seine Augenlider zuckten leicht, dennoch setzte er noch einen drauf.
»Wir hätten da zwei Träume für Sie im Angebot: Schweizer Bergwiese mit Kuh.
Oder Palmenstrand mit Kokosnüssen. Welchen hätten Sie denn gern?«
Hummel schwieg pikiert.
»Als Alternativtraum hätten wir noch den Partner nach Wahl …«
Partner nach Wahl … Jesses nei, war er plötzlich müde. Mit den
Gedanken bei Carolin und Elke schlief er ein.
Das »Teamen« bedeutete, dass der Chefarzt sich wieder wichtigeren
Dingen in seinem Büro widmete, während Bünzli die eigentliche
Chefarztbehandlung durchführte.
Das Problem war nur, dass der Schweizer mit seinen dicken
Metzgerfingern über so wenig handwerkliches Geschick verfügte wie eine
Kantinenköchin nach einer kurzen Einführung in Sachen Katheter.
Fachlich war er durchaus gebildet und für die Arbeit im Labor wie
geschaffen. Für medizinische Eingriffe am menschlichen Objekt hatte er
allerdings zwei linke Hände. Jede Herzkatheteruntersuchung trieb seinen eigenen
Puls weit nach oben.
Da war es wohl besser, den Patienten im Glauben zu lassen, der
Professor – und nicht er – würde den Eingriff durchführen. Dieser Mann vor ihm
zählte ohnehin zu der Kategorie Patient, denen man lieber weniger als zu viel
sagte. Bünzli hatte noch einen Blick auf die Akte geworfen. Lehrer, Ende
vierzig. Lehrer, oje. Wussten immer alles besser – und klappte mal eine
Kleinigkeit nicht, so stand sofort der Anwalt parat. Wobei in seinem Fall die
nicht ganz unberechtigte Befürchtung bestand, dass
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